ANALYSE. Auf Bundesebene assistieren Werner Kogler und Co. mehr und mehr der ÖVP, in Wien haben sie sich aus der Regierung katapultiert, um sich gegenseitig zu bekämpfen.
Wenn einmal Witze die Runde machen, dann wird es ernst für die Akteure, um die es dabei geht: Nach der Pressekonferenz des „virologischen Quartetts“ hieß es beispielsweise, der Ablauf sei immer der gleiche: Zuerst sage Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), was Sache ist; dann werde es von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) leicht dialektgefärbt wiederholt; und schließlich präsentiere Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ein paar Grafiken, die den einleitenden Worten des Kanzlers eine gewisse Evidenz zu verleihen.
Der Kanzler könnte solche Auftritte also genauso gut alleine bestreiten. Die Grünen sind jedoch dabei, weil sie auch in der Regierung sitzen. Die Gelegenheit, eigene Akzente zu setzen, nützen sie nicht. Dabei würde es Möglichkeiten ohne Ende dazu geben. So hätte Kulturminister Werner Kogler (ja, er ist auch Kulturminister) am vergangenen Samstag auf das Drama eingehen können, dass tausende Künstler wieder ohne Schaffens- bzw. Verdienstmöglichkeiten dastehen und ganz Österreich z.B. ohne Theateraufführungen eine geistige Fastenzeit erleiden muss. Ausgerechnet Österreich, diese vermeintliche Kulturnation! Außerdem hätte Kogler lang und breit erklären können, warum es nun doch zu De-facto-Schulschließungen gekommen ist; Bildung ist den Grünen in der Vergangenheit immerhin wichtig gewesen. Allein: Er hat weder das eine noch das andere getan.
Am nächsten Tag ließ Anschober wiederum eine kleine Demütigung über sich ergehen: Sebastian Kurz kündigte – unabgesprochen mit ihm – Massentests nach slowakischem Vorbild an. Anschober nahm dies zur Kenntnis. Damit ist er jetzt eine Art Staatssekretär von „Gesundheitsminister“ Kurz. Immerhin geht es hier um eine entscheidende Strategiefrage zur Bekämpfung der Pandemie. Und immerhin ist es nicht das erste Mal, dass Kurz die Richtung bestimmt; bei der Missachtung der Ampel-Kommission war es ähnlich.
Und überhaupt: Auch auf anderen Politikfeldern lassen Grüne mit sich machen, wonach dem Kanzler ist. Die Justiz soll Verantwortung dafür tragen, dass es zum Wien-Attentat kommen konnte? Ressortchefin Alma Zadic lässt diesen Vorwurf stehen, um den Absender, Innenminister Karl Nehmmer (ÖVP), in weiterer Folge auch noch zu stärken und bei der BVT-Reform zu bestätigen.
Klimaschutz, das Thema, mit dem die Grünen 2019 zurück ins Parlament gekommen sind, ist in der Corona-Gesundheitskrise kein Thema mehr und wird es auch danach kaum noch eines werden: Schon heute zieren sich Länder und Verkehrsverbünde, beim 1-2-3-Ticket mitzumachen; sie sagen, kein Geld mehr dafür zu haben. Ökosteuern sind wiederum weder mit der ÖVP noch mit Teilen der (Land-)Wirtschaft zu machen, die argumentieren, dass sie jetzt aber wirklich keine zusätzlichen Belastungen mehr verkraften könnten.
Was bleibt den Grünen? Nicht einmal Wien: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) tut sich mit den Neos zusammen. Das ist ein Gegenentwurf zu Türkis-Grün und damit unter anderem auch gegen eine europa- und flüchtlingsfeindliche Bundespolitik: Das ist für sich genommen schon brutal für die Grünen. Zudem wollen SPÖ und Neos die Mittel für den Ausbau von Radwegen vervielfachen. Das wirkt wie eine Rache von Ludwig an den Grünen. Dafür, dass sie hinter seinem Rücken kurz vor der Wahl und ausgerechnet mit Türkisen eine „autofreie“ City angekündigt haben. Das war wirklich ein Vertrauensbruch, den die scheidende Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) da mir nichts, dir nichts zum eigenen Schaden riskiert hat.
Die Wiener Grünen werden all das nicht einmal mitbekommen. Sie sind damit beschäftigt, was gemeinhin als Grabenkämpfe bezeichnet wird: Zwei dürfen nicht-amtsführende, also arbeitslose, aber gut verdienende Stadträte werden, Altklubobmann David Ellensohn behält seine Funktion, Hebein geht leer aus. Sie nehme das zur Kenntnis, halte es jedoch für politisch falsch, twittert die Gemeinderätin Viktoria Spielmann ganz offen. Sie hätte sich ihren Start in die Politik offenbar anders vorgestellt: „Ich schwanke zw. Enttäuschung, Verzweiflung und Tatendrang.“
Könnten die Wiener Grünen jetzt aus der Opposition heraus neu durchstarten, wäre all das vielleicht ja noch überwindbar für sie. Allein: In zahlreichen Bezirken tragen sie Regierungsverantwortung – und sind über diese Rolle gezwungen, sich zurückzuhalten und ein gutes Einvernehmen mit dem (künftig) rot-pinken Rathaus zu pflegen.
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