ANALYSE. Österreich ist auf dem Weg zu drei Mittelparteien: Das stärkt Grüne und Noes. Ihnen wird nach der Nationalratswahl eine Schlüsselrolle zukommen.
Freiheitliche reden schon ein einem Volkskanzler Herbert Kickl und die ÖVP sortiert potenzielle Koalitionspartner aus: Kickl geht nicht. Grüne gehen auch nicht mehr, nachdem die Volkspartei erst jetzt ihr wahres Gesicht entdeckt haben will (Zitat Karl Nehammer). Eine linke Sozialdemokratie unter Führung von Andreas Babler geht sowieso nicht.
Was bleibt ist das Gerede von einer „Großen Koalition“ mit einer SPÖ, die den Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke als Vizekanzler in die Regierung schickt. Das ist jedoch dazu angetan, die SPÖ zu beschädigen und im Übrigen aus der Zeit gefallen: Die beiden ehemaligen Großparteien würden bei einer Nationalratswahl heute im besten Fall gemeinsam mit der FPÖ als Mittelparteien aussteigen. Eine Mehrheit hätten sie zusammen nicht mehr.
In Wirklichkeit pokern Freiheitliche und Türkise hoch, um Wählerinnen und Wählern etwas vormachen zu können: Ein Volkskanzler geht sich rein rechnerisch nicht aus. Dazu bräuchte der FPÖ eine Verfassung-, also Zweidrittel- oder zumindest eine absolute Mehrheit. Dann könnte Kickl am ehesten die Politik machen, die ihm gefällt. Aber das ist eben undenkbar. Kickl muss froh sein, wenn sich mit der ÖVP eine Mehrheit ausgeht, um nicht auch noch bei Roten, Grünen oder Pinken anklopfen zu müssen.
Umgekehrt kann die ÖVP, die seine einzige nicht unmögliche Partnerin ist, bei all ihrer Empörtheit über Leonore Gewessler nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie Grüne genauso als mögliche Partner braucht wie Rote und Pinke: Am Tag nach der Nationalratswahl steht und fällt sie mit den Optionen, die sie hat. Zugespitzt formuliert vermittelt sie derzeit den Eindruck, eigentlich nur mit Neos und der Bierpartei zusammenarbeiten zu können. An den beiden hat sie am wenigsten auszusetzen.
Wer nur eine Option hat, ist erpressbar, schwächt sich selbst und stärkt die einzig möglichen Partner (in diesem Fall wären das eben Neos und die Bierpartei). Beate Meinl-Reisinger könnte zum Beispiel Finanz- und Wirtschaftsministerium verlangen. Und zwar mit guten Argumenten: Die türkise Budgetbilanz ist verheerend und Unternehmertum pinke Kernkompetenz.
Ganz besonders für den Fall, dass Blau-Türkis die rechnerisch einzig mögliche Zwei-Parteien-Koalition wäre, ist es für Karl Nehammer wichtig, nicht ganz unglaubwürdig signalisieren zu können, dass er auch andere Optionen hätte. Nur dann könnte er für seine Partei das Maximum herausholen.
Da kommt man bei den absehbaren Mehrheitsverhältnissen immer wieder auf Grüne und Neos zurück: Bei der gängigen Fixiertheit auf die potenziellen Kanzlerparteien FPÖ, ÖVP und SPÖ geht unter, dass die „Kleinen“ bei der Europawahl zusammen rund 20 Prozent geholt haben und sie das auch bei der Nationalratswahl tun könnten. Dass sie über die Jahre tendenziell einen größeren Stimmenanteil neben den potenziellen Kanzlerparteien gewonnen haben. Dass diese Parteien mit jeweils (eher) weniger als 30 Prozent relativ schwach sind und allesamt ein „Koalitionsoptionenproblem“ haben, das sie natürlich nie eingestehen würden.
Letztlich wird Neos und Grünen (inklusive Leonore Gewessler) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Schlüsselrolle zukommen nach der Nationalratswahl: ÖVP, aber auch SPÖ werden in einem Poker gegen Kickl abhängig davon sein, dass sie mit ihnen könn(t)en.