ANALYSE. Die ehemalige Klimaschutzministerin kann als neue Grünen-Chefin (fast) nichts verlieren, also eher nur gewinnen. Das hat auch mit ihrem Nachfolger zu tun.
Zu behaupten, die „Kronen Zeitung“ habe genug von Norbert Totschnig (ÖVP) als Klimaschutzminister und sehne sich zurück nach Leonore Gewessler, die das bis Anfang März war, ist nicht weit übertrieben: „37 Grad, Unwetter – und was macht der Minister?“, schrieb Chefredakteur Klaus Herrmann zu Beginn der laufenden Extremwetterphase in einem Leitartikel. Seine Antwortet lautete sinngemäß, dass Totschnig keine ernstzunehmende Klimapolitik verfolgt und Klimaneutralität bis 2040 lediglich als „Kür“ bezeichnet, also nicht als Pflicht betrachtet. Dass er mit Anreizen statt Verboten arbeiten und niemandem etwas diktieren möchte. Obwohl man Tempo 50 im Ortsgebiet und 100 auf der Landstraße auch als Diktat empfinden könnte, so Herrmann: „Aber wollen wir ungebremst durch Stadt und Land brausen?“
Gewessler hat’s vielleicht mit Genugtuung aufgenommen: Hier schlägt ein Pendel zumindest ins andere Extrem. In der Regierung ist mittlerweile das angesagt, was schon der ehemalige Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) angeleiert hat: Österreich soll als Autoland verstanden werden, Klimaschutz bloß mit Hausverstand betrieben werden. „Bloß“ steht hier, weil der Begriff Hausverstand ein Vorwand dafür ist, allenfalls halbherzig zu agieren. Totschnig setzt das jetzt um.
Es kann natürlich nicht gesagt werden, dass Gewessler für die einzig richtige oder vernünftige Klimapolitik stehe. Sie steht aber für eine ambitionierte. Und damit ist sie in der österreichischen Politik ohne Konkurrenz.
Als neue Grünen-Chefin werden sie und die Partei davon profitieren. Die 47-Jährige steht nicht für eine inhaltliche Breite. Im Gegenteil: Zu vielen gesellschaftlichen Fragen hat sie genauso (noch) kein Profil wie unter anderem zu integrations-, bildungs-, sicherheits- oder demokratiepolitischen insgesamt. Sehr wohl aber hat sie das eben zu Klimaschutz, einem ebenfalls sehr relevanten Thema der Zeit, dem Totschnig als zuständiges Regierungsmitglied so gar nicht entspricht.
Das ist allemal dazu angetan, den Grünen bei Nationalratswahlen längerfristig wieder über zehn Prozent zu bescheren. Beim Urnengang im vergangenen Herbst sind sie ja um fünfeinhalb Prozentpunkte auf nur noch acht Prozent eingebrochen.
Das gilt umso mehr, als die Perspektiven für sie gar nicht so schlecht sind, wie es wirken mag, nachdem sie (Ausnahme Burgenland) ohne Regierungsverantwortung dastehen: Regierungsverantwortung hat in den vergangenen Jahren aus ihrer Sicht auch bedeutet, eigene Anhänger zu enttäuschen. Das fällt jetzt weg.
Außerdem: Die ÖVP hat de facto gebrochen mit ihnen: Es erscheint ausgeschlossen, dass sich die Volkspartei in absehbarer Zeit noch einmal auf eine Koalition mit ihnen einlässt.
Das hat jedoch damit zu tun, dass die Volkspartei lieber nach rechts blinkt oder sich mit Sozialdemokraten und Neos zusammentut; dass es ihr wichtig ist, den Wählern zu zeigen, dass sie eh keine spürbare Klimapolitik machen möchte und daher nichts mehr mit den Grünen zu tun habe. Was bei Wählern, denen das ein Anliegen ist, ankommen mag. Was umgekehrt aber die Grünen als Klimaschutzpartei stärkt: Es bestätigt lediglich, dass sie eine solche sind, macht sie für den Teil der Wählerschaft, für den das zentral ist, nur noch relevanter.