ANALYSE. FPÖ-Chef Kickl setzt an, die Volkspartei vielfach für die Spielchen büßen zu lassen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem auch auf Kosten seiner Partei und von ihm selbst betrieben hat.
Die Kontraste könnten größer nicht sein. Herbert Kickl (FPÖ) habe den Regierungsbildungsauftrag, es sei nicht die Zeit, Druck auszuüben, glaubt ÖVP-Klubobmann August Wöginger. Im äußersten Westen meint Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), von einem Kanzler, egal von welcher Partei, sei staatsmännisches Verhalten zu verlangen. Auch in Sprache und Umgang miteinander.
Es ist kurz nach 15 Uhr, Kickl, an den das gerichtet ist, setzt zu seiner ersten Rede nach Erhalt des Regierungsbildungsauftrags an. Was folgte, hat man noch selten erlebt. Oder noch nie. Es wird dem Mann gerecht, der Volkskanzler werden möchte und daher auch behauptet, im Sinne des Souveräns zu agieren. Also auch von Ihnen etwa. Ob Sie wollen oder nicht.
Herbert Kickl stellt den Beginn einer neuen Ära in Aussicht. Dabei ist er noch nicht einmal Kanzler und müsste als solcher wohl mehrfach bestätigt werden, damit von einer Ära gesprochen werden könnte. Aber er geht eben davon aus, dass er Umfragewerte, die die FPÖ bei 35 Prozent sehen, bei einem Urnengang auch materialisieren würde. Das behält er nicht für sich, er spricht es aus.
Und es gehört nur zum Vorspann seiner Rede. Der Hauptteil folgt. Er ist an die ÖVP gerichtet: Kickl streckt die Hand aus, wäre eine missverständliche Formulierung. Wenn sie geglaubt hat, dass sie durch ihn zumindest als Juniorpartner fix in der Regierung bleiben kann, dann hat sie sich getäuscht. Erstens: Kickl will im kleinen Rahmen mit ihr zunächst einmal ausloten, ob eine Koalition überhaupt Sinn macht. Sie soll zittern.
Zweitens: Grundsätzlich erwartet er sich von ihr, dass sie akzeptiert, dass die FPÖ Wahlsiegerin und sie nur Zweite ist (obwohl nur zweieinhalb Prozentpunkte zwischen den beiden liegen). Außerdem will er, dass sie eingesteht, das Land budgetär gegen die Wand gefahren zu haben. Und dass sie bei allfälligen Verhandlungen geschlossen auftritt. Sonst gebe es Neuwahlen: „Wir sind dafür gerüstet.“
Was läuft hier? Herbert Kickl rächt sich für die Spielchen, die die Volkspartei in den vergangenen Jahrzehnten gespielt hat. Auch auf Kosten der FPÖ. Infolge von Knittelfeld (2002) und infolge von Ibiza (2019) – inkl. „Opfer“ Kickl, bei dem das noch immer tief sitzt – hat sie bei Neuwahlen triumphiert, geglaubt, die FPÖ als Mitbewerberin erledigt zu haben. Jetzt hat sie sich verkalkuliert, hat Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ im Wissen abgebrochen, nur groß verlieren zu können; nämlich als Neuwahlen fürchtende, maximal geschwächte Verhandlungspartnerin der FPÖ.
Kickl nützt das gnadenlos aus. Wirtschaftsvertreter der ÖVP, die von vornherein eine Zusammenarbeit mit ihm wollten, weil ihnen die SPÖ zu weit links steht, müssen jetzt davon ausgehen, noch viel Übleres zu bekommen. 15 Prozent bei Neuwahlen im Frühjahr? Nicht unrealistisch.
Im schlimmsten Fall läuft es darauf hinaus: Die ÖVP, die behauptet, dass Neuwahlen in schwierigen Zeiten wie diesen ganz schlecht wären für das Land und dass sie daher in Gottes Namen bereit sei, mit Kickl zu regieren, wird alles hinnehmen, was er will. Auch Dinge, die ihn laut Volkspartei von gestern zum Sicherheitsrisiko machen. Ausstieg aus Sky Shield und so weiter und so fort. Sie wird einen blauen Finanz-, einen blauen Innen- und vielleicht auch Verteidigungsminister akzeptieren. Von einem blauen Integrationsminister gar nicht zu reden. Und wenn sie alles gegeben hat, wird Kickl sagen, dass es zu wenig sei und daher Neuwahlen notwendig seien. Friss und stirb.
Theoretisch möglich wäre dann zwar auch die Bildung einer anderen Regierung. Praktisch ist Schwarz-Rot zum Beispiel aber gerade eher unvorstellbar geworden.