ANALYSE. ÖVP, aber auch SPÖ, schonen die FPÖ. Das erhöht die Chancen von Walter Rosenkranz bei der Bundespräsidenten- und Herbert Kickl bei der Nationalratswahl.
Innenpolitische Auseinandersetzungen laufen überwiegend zwischen Regierung und Opposition, Türkisen und Roten oder zunehmend auch Vertretern der beiden Regierungsparteien. Man denke nur an den U-Ausschuss oder die jüngste Kritik von ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner an Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne), bei der Absicherung der Gasversorgung keinen guten Job zu machen.
Das ist bemerkenswert: Die Freiheitlichen werden seit geraumer Zeit stärker und stärker. In Niederösterreich könnten sie laut einer NÖN-Umfrage bei einer Wahl am kommenden Sonntag ihr bestes Ergebnis überhaupt erreichen. Auf Bundesebene scheint „Ibiza“ vergessen zu sein, ist für die Partei von Herbert Kickl Platz zwei (hinter der SPÖ und vor der ÖVP) im Bereich des Möglichen.
Zu sagen, die FPÖ werde nicht wahrgenommen, wäre daneben. Sie wird auch nicht unterschätzt. Es ist schlimmer: Zu große Teile der österreichischen Politik zieren sich, sie beim Wort zu nehmen und zur Verantwortung zu ziehen. Die FPÖ wird geschont. Man mag keine Auseinandersetzung mit ihr führen
Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, was Herbert Kickl in der Coronapandemie schon alles gesagt und empfohlen hat (Verharmlosung gelber Sterne auf Kundgebungen, Empfehlung, zu einem Pferdeentwurmungsmittel zu greifen etc.). Und wenn man sich vor Augen führt, was absehbar ist: Kickl wird das in Bezug auf die Teuerung fortsetzen. In einer Aussendung hat er gerade von „Protestmaßnahmen gegen den mutwilligen Zerstörungskurs gegenüber dem eigenen Land und der Gleichgültigkeit gegenüber der Not“ im kommenden Herbst geschrieben. Er hat offenbar die Absicht, sich an die Spitze zu stellen.
Zumal zu bezweifeln ist, dass es zu den Aufgaben eines Oppositionspolitikers gehört, potenziell nicht ungefährliche Bewegungen auf der Straße zu befeuern, gehört dem mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Gehört Kickl in das verstrickt, was diesen Aufgaben entsprechen würde: eine harte inhaltliche Auseinandersetzung. Am Ende soll für eine Masse klar sein, was wiegt, was Kickl will.
Im Umgang mit der Regierung ist eine solche Auseinandersetzung ganz normal. Aber mit der FPÖ? ÖVP, aber auch SPÖ, halten sich zurück. Das erhöht zunächst die Chancen von Walter Rosenkranz als freiheitlichem Kandidat bei der Bundespräsidenten-Wahl. Sie fällt genau in diesen Herbst, der heiß zu werden droht. Gegen Amtsinhaber Alexander Van der Bellen gewinnen wird er kaum. Er wird aber helfen, einen Boden aufzubereiten, der Kickl bei einer nachfolgenden Nationalratswahl nützt. Man darf nicht vergessen: Auch ein Präsidentschaftswahlkampf bietet sehr viel Öffentlichkeit.
Die Zurückhaltung der ÖVP ist nachvollziehbar (was die Sache nicht besser macht): Man versucht, hunderttausende Ex-FPÖ-Wähler, die man unter Sebastian Kurz gewonnen hat, halt doch noch irgendwie zu halten. Dazu gehört, ihre ursprüngliche Heimat zu schonen – und bekannte Themen zu behandeln. 2015 darf sich nicht wiederholen etc. Sachslehner, der in der ÖVP die Funktion übertragen worden ist, Mitbewerber anzugreifen, beschränkt sich dabei auf Grüne und Sozialdemokraten. Freiheitliche? Spielen keine Rolle.
Die SPÖ wiederum hat nicht viel zu verlieren, aber sehr viel zu gewinnen. Sie glaubt, das Potenzial dadurch ausschöpfen zu können, dass sie sich zurückhält: Wie Pamela Rendi-Wagner keine größeren Alternativen für Österreich präsentiert, eröffnet sie auch kein Duell mit der FPÖ.
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