FPÖ ist weiter als die AfD

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ANALYSE. Freiheitliche können bei Wahlerfolgen davon ausgehen, zu einer Regierungsbeteiligung zu kommen. Auch unter Kickl haben sie gute Chancen.

Eher wird Herbert Kickl (FPÖ) in ein paar Monaten Kanzler, als sein Kamerad Bjorn Höcke Ministerpräsident im deutschen Bundesland Tühringen. Dort hat er die AfD zwar gerade klar auf Platz eins geführt, vorerst will aber wirklich niemand mit ihm zusammenarbeiten; jedenfalls niemand, der ihm zu einer Mehrheit verhelfen könnte.

Kickl mag inhaltlich ähnlich ticken. Beispiel „Remigration“. Türkise mögen ausschließen, mit ihm persönlich zu koalieren. Das heißt jedoch wenig. Beschert er der FPÖ klar Platz eins bei der Nationalratswahl in nicht einmal vier Wochen, wird sich viel ändern. Vielleicht wird Karl Nehammer (ÖVP) dann zurücktreten. Vielleicht wird er bleiben. Ob man es sich in seiner Partei dann weiterhin leisten mag, sich gegen Kickl zu stellen, ist fraglich. Die Verunsicherung wird groß sein, wird er doch sehr, sehr viele Ex-ÖVP-Anhänger zu sich gezogen haben. Im Übrigen wird es kaum jemanden geben, der dann noch dagegenhalten wird: Die Landeshauptleute, die jetzt von einer „Großen Koalition“ mit Neos reden, haben exakt gar keinen Plan, wie eine solche Kickl verblassen lassen könnte. Das ist ihre Schwäche.

Auch in der Sozialdemokratie werden die Verhältnisse nicht mehr so klar sein wie bisher. Es gibt Ereignisse, die so tief gehen, dass ein Umdenken ansetzt. In Deutschland hat man das gerade gesehen: Nach dem Terroranschlag von Solingen ist es plötzlich auch für eine politische Mitte, ja sogar Teile der Linken selbstverständlich, Straftäter zu den Taliban nach Afghanistan abzuschieben.

In der SPÖ gibt es unter anderem einen urbanen und einen ländlichen Flügel. Für den urbanen gibt es nach rechts eher Grenzen. Was auch damit zu tun hat, dass er sich das leisten kann. In Wien wird es wohl immer eine Mitte-Links-Mehrheit geben. In ländlichen Teilen Österreichs ist hingegen eine klare Mitte-Rechts-Mehrheit die Regel. Hans Peter Doskozil, Georg Dornauer, Sven Hergovich und wie-sie-alle-heißen bemühen sich, ihr zu entsprechen. Es wird nicht gleich ein Bündnis mit Kickl sein. Doskozil hat aber schon im Februar gefordert, eine Koalition mit der FPÖ nicht per se auszuschließen. Das steht für einen Umdenkprozess in Teilen der Sozialdemokratie.

Vorerst ungleich naheliegender ist im Falle eines klaren FPÖ-Wahlsiegs am 29. September Blau-Türkis: In der ÖVP gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, mit dem zu koalieren, an dem man die meisten Simmen verliert. Wo die Partei führend ist, hat sie sich zuletzt daran gehalten. Ob in Tirol, Salzburg oder Niederösterreich. Dahinter steht die Überlegung, dass es so am einfachsten ist, eine Politik zu machen, nach der sich enttäuschte Anhänger offenbar sehnen.

Zweitens: Es gibt in Österreich die Tendenz, zu glauben, dass der Wahlsieger einen Kanzleranspruch hat. Auch wenn man ihn ablehnt. „Es gehört sich halt so.“ Kickl arbeitet seit Monaten daran, das zu verstärken. Eine Partei wie die ÖVP, die es sich nicht mit Anhängern der Freiheitlichen Partei verscherzen möchte, wird sich kaum darüber hinwegsetzen können.

Umso mehr als sie (viertens) besonders in Niederösterreich bereits ein gemeinsames Programm mit Freiheitlichen entwickelt hat, das von Corona bis Migration und Integration dem Geist von Kickl entspricht.

Fünftens: Auf die Nationalratswahl folgen noch heuer Landtagswahlen in Vorarlberg und der Steiermark. Bereits am Abend des 29. September werden ÖVP-Vertreter ihre Haltung gegenüber einem allfälligen Triumphator Kickl daher überdenken. „Man will ihm ja nicht noch mehr Stimmen bescheren.“

Sechstens: Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik machen es Türkisen wohl am schwersten, sich auf die FPÖ einzulassen. Eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland oder eine Nichtteilnahme an „Sky Shield“ sind aus ihrer Sicht undenkbar. Einerseits. Anderseits verabsäumen sie es seit Beginn der Ukraine-Krieges, eine offene, breite Debatte zu solchen Fragestellungen zu führen. Damit sind sie ein erhebliches Risiko eingegangen: Es gibt bei einer breiten Masse eher keine gefestigte Meinung zu derlei. Problem: Deswegen eine Zusammenarbeit mit Kickl nicht einzugehen, wäre vor diesem Hintergrund schwer vermittelbar gegenüber der Öffentlichkeit. Das wäre jedoch relevant. Sonst ist ein Grundstein zu weiteren Wahlniederlagen gelegt.

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