ANALYSE. Warum Herbert Kickl nicht so schnell scheitern muss, sondern eher sogar Aussicht hat, viele Jahre Regierungschef zu sein.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ist ein Vorbild von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Orban war von 1998 bis 2001 und ist seit 2010 im Amt. In Summe sind das bald 20 Jahre. Kickl dürfte demnächst Kanzler werden. Man sollte nicht davon ausgehen, dass das eine Episode wird, der Mann über Affären stolpern oder von Wählern abgestraft wird. Er könnte sich lange halten. Vielleich nicht fast 20, aber viele Jahre.
Weil schon von Affären die Rede war: Kickl hat sich zu sehr selbst unter Kontrolle als dass er sich wie sein Vorvorgänger an der FPÖ-Spitze, Heinz-Christian Strache, auf Ibiza in eine Falle locken lässt und dann Dinge daherredet, die politisch untragbar sind. Von der BVT-Affäre (Hausdurchsuchung beim damaligen Bundesamt für Verfassungsdienst und Terrorismusbekämpfung) wiederum dürfte er gelernt haben, dass er derlei künftig anders angehen lassen muss.
Vor allem aber tritt Kickl in einer Zeit an, Regierungschef zu werden, in der man weiß, dass jetzt wirklich autoritäre Jahre angebrochen sein dürften, in der rechtspopulistische und rechtsextreme Politiker im Kommen sind. Meloni in Italien, Le Pen in Frankreich, AfDler in Ostdeutschland, Donald Trump in den USA. Orban ist nicht mehr allein.
Kickl ist in Gesellschaft. Und er verkörpert, was typisch ist: Er mobilisiert gezielt Menschen, die das Gefühl haben, dass die Verhältnisse für sie schlechter werden. Dass auf sie vergessen wird. Das sind aufgrund der vielen großen Krisen viele. Er gibt vor, ihnen als „Volkskanzler“ bedingungslos zu dienen und Vertreter eines verachtenswerten Systems zu treten. Das ergibt in Summe eine Wucht, die kaum überschätzt werden kann: Wer es wagt, den „Volkskanzler“ auch nur zu kritisieren, der richtet sich nach dieser Logik gegen das Volk, ist daher (frei nach Kickl) ein „Volksverräter“.
Es hilft Kickl auch über vermeintlich Unpopuläres hinweg: Er wird nicht umhinkommen, zu einer Budgetsanierung mit schmerzlichen Einschnitten zu schreiten. Ein paar Dinge werden bei ihm aber anders sein: Er wird Gruppen wie „Ausländer“ oder „Asylwerber“ ganz besonders herausgreifen. Zur Genugtuung all jener, die das Gefühl haben, dass diesen Leuten bisher auf ihre Kosten Geld überwiesen worden sei.
Außerdem wird sich Kickl mit Vergnügen auf Auseinandersetzungen mit der EU einlassen: „Wir lassen uns nicht sagen, wie unser Budget auszuschauen hat.“ Jede Strafe für oder jedes Urteil gegen Österreich ist vor diesem Hintergrund für einen wie ihn willkommen: Es bestätigt seinen Ruf, dass Brüssel übel und eine Rückkehr zu echter nationaler Souveränität notwendig sei.
Herbert Kickl wird nicht die Verfassung ändern können. Aber muss er dem Geist der Verfassung entsprechen? Wenn etwas auf parlamentarischer Ebene nicht durchsetzbar ist, lässt sich Druck durch das Volk machen. Das Tabu, dass Parteien Volksbegehren durchführen, ist längst gebrochen. Und, sagen wir, ein Volksbegehren für eine Volksgesetzgebung, das von einer Million Wählern unterstützt wird, würde etwas auslösen, was ganz im Sinne von Kickl wäre.
Gegengewichte hat er nur begrenzt zu fürchten: Am ehesten die Opposition auf parlamentarischer Ebene, sie (SPÖ, Neos, Grüne) ist aber bei weitem nicht in allen Fragen geeint. Die Justiz? Das hängt unter anderem davon ab, was im Regierungsprogramm stehen wird. FPÖ und weniger noch ÖVP sind zum Beispiel Freunde der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Medien? Die großen Boulevardblätter sind inseratenabhängig und dem ORF steht eine Kürzung oder gar Streichung der Haushaltsabgabe bevor. Journalistische Angebote wie Ö1 wird es dann nicht mehr in gewohnter Qualität geben. Womit es sich auch schon leichter regieren lässt.
Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Wichtige Forschungsinstitute leben zum Teil von öffentlichen Förderungen. Von den Universitäten gar nicht zu reden.
Dass die ÖVP Kickl fallen lässt, ist – Stand heute – ausgeschlossen. Sie ist weit davon entfernt, Neuwahlen riskieren zu können. Sie muss eher froh sein, wenn sich Kickl nicht für die Spielchen rächt, die sie über viele Jahre betrieben hat, und bei erstbester Gelegenheit Neuwahlen provoziert, um selbst auch auf ihre Kosten weiter zuzulegen.