ANALYSE. Der Kanzler hat sehr gute Gründe dafür, von allen Regierungsmitgliedern eine Unterschrift zu verlangen. Das sagt jedoch auch sehr viel über den Zustand der Koalition aus. In Deutschland wär’s jedenfalls vorbei.
Quasi über die Hintertür versucht Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) seine Regierungsmitglieder zur Räson zu bringen: Sie sollen das Programm für die verbleibende Zeit bis zu Nationalratswahlen unterschreiben. Kern hat gute Gründe dafür; und ein Stück weit hilft er damit auch seinem Vize Reinhold Mitterlehner (ÖVP): Dessen Leute, darunter vor allem Innenminister Wolfgang Sobotka, hören nicht einmal auf diesen; und auf ihn, Kern, schon gar nicht.
Also macht es Sinn, einen Punkt zu machen: Entweder ziehen ab sofort alle an einem Strang, oder wir gehen eben auseinander. So einfach ist das. Und auch wieder nicht.
„Wer das macht in einer Koalition, der weiß, dass die Koalition zu Ende ist.“ (Franz Müntefering)
Was der Regierungschef da macht, ist im Grunde genommen nichts anders, als sich eine Art Richtlinienkompetenz zu verschaffen, wie sie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gegenüber ihren Kabinettsmitgliedern hat. Zumindest theoretisch. „Die Anwendung der Richtlinie, die ist nicht lebenswirklich“, sagte der damalige SPD-Chef Franz Müntefering vor ein paar Jahren im ZDF: „Wer das macht in einer Koalition, der weiß, dass die Koalition zu Ende ist.“
Die Richtlinienkompetenz sei „keinen Cent wert“, befand der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter gegenüber „Spiegel Online“; sie sei denn auch noch von keimen Kanzler angewendet worden. Von Helmut Schmidt (SDP) stammt laut Berliner „Tagesspiegel“ der Satz aus den Anfangszeiten der Großen Koalition von 1966: „Es gibt keine Richtlinienkompetenz gegen Brandt und Wehner (beide SPD).“ Was er damit sagen wolle: Kein Kanzler könne über den Koalitionspartner bestimmen; und selbst in der eigenen Partei müsse er auf Fraktion und Landesorganisationen achten.
Vielleicht ist da ein Vergleich mit einem Ehepaar oder Lebensabschnisspartnern angebracht.
Vielleicht ist da ein Vergleich mit einem Ehepaar oder Lebensabschnittspartnern angebracht: Wie in der Politik handelt es sich dort um selbstbestimmte Wesen; wie Abgeordneten steht es den Partnern ganz selbstverständlich frei, zu tun, was sie für richtig erachten. Zwingt da einer den anderen – gegen dessen Willen wohlgemerkt – zu irgendetwas, ist das der Anfang vom Ende.