ANALYSE. Wer soll Österreich künftig regieren? Das nächste Problem für Kurz: Nachdem er FPÖ und SPÖ erledigt hat, will er jetzt den NEOS zusetzen.
Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz bittet um eine klare Mehrheit bei der Nationalratswahl. Was immer das heißt. Zumindest 40 Prozent werden’s sein müssen. Zumal es jedoch eine Absolute kaum werden wird, wird ihm eine lästige Frage in den nächste Monaten wohl immer und immer wieder gestellt werden: „Mit wem werden Sie koalieren?“
Die Option SPÖ hat Kurz im vergangenen Jahr erledigt.
Die Antwort wird schwierig. Mit allen, die sich seinen Vorstellungen anschließen? Das ist unbefriedigend, hieße alles und nichts. Vor allem aber ist es nicht mehr glaubwürdig: Die Option SPÖ hat Kurz im vergangenen Jahr erledigt. Die Verbitterung in sozialdemokratischen Reihen darüber, von ihm aus der Regierung verdrängt worden zu sein, ist groß. Und überhaupt: Ein wesentlicher Teil von Kurz’ Erfolg ist auf der anderen Seite ja genau dies: dass er mit der Großen Koalition Schluss gemacht hat. Mit dem Vorwurf, dass die SPÖ für Stillstand stehe, hat er dies am Samstag gerade wieder in Erinnerung gerufen. Das wird nichts mehr, eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit wäre mit einem Gesichtsverlust für Kurz verbunden.
Gegenüber den Freiheitlichen muss er eine Doppelstrategie fahren.
Doch die FPÖ also? Mit den Freiheitlichen tut sich Sebastian Kurz ganz eindeutig am schwersten. Was gerade läuft, ist ein Drahtseilakt mit extrem großer Absturzgefahr für ihn. Grund: Gegenüber den Freiheitlichen muss er eine Doppelstrategie fahren. Gegenüber der Partei muss er betonen, dass sie jetzt aber wirklich nicht mehr regierungsfähig sei (sonst hätte er ja keine Neuwahlen ausrufen müssen); ihre Wähler aber muss er umwerben, weil er nur mit ihnen zu einem echten Wahlerfolg kommt.
Theoretisch wäre eine solche Doppelstrategie eher möglich, wenn die FPÖ de facto führungslos wäre. Wie 2002. Praktisch aber schaut es von Tag zu Tag weniger danach aus (und kann sich in Tagen wie diesen auch wieder ganz schnell in die andere Richtung ändern): Norbert Hofer ist als FPÖ-Chef ein ernstzunehmender Faktor. Ja, er hat sogar das Potenzial, seine Partei trotz aller Vorkommnisse vor einem Absturz zu bewahren.
Bleibt eine der Parteien, die laut Kurz momentan zu klein sind für eine Koalition. Wobei wir die Grünen sehr schnell abhandeln können: Kurz müsste einen guten Teil seiner Flüchtlings-, Migrations- und Europapolitik aufgeben, damit Schwarz-Grün geht. Oder die Grünen müssten sich selbst aufgeben, aber endgültig. Also lassen wir das.
Eine erfolgreiche ÖVP reduziert das NEOS-Wählerpotenzial.
Womit wir bei den NEOS angelangt wären: Eine gewisse Nähe ist nicht abzustreiten. Was jedoch gegen Schwarz-Pink spricht: Die NEOS leben vor allem davon, von enttäuschten ÖVP- und Grünen-Anhängern unterstützt zu werden. Das sind ihre mit Abstand wichtigsten Wählergruppen. Die Grünen sind jedoch dabei, sich zu erholen. Also können sich die NEOS von daher nicht viel erwarten. Die ÖVP will bei den Neuwahlen wiederum groß rauskommen: Schafft sie das, reduziert sich das ÖVP-Wähler-Potenzial für die NEOS. Sprich: Es könnte eng werden.
Darüber hinaus aber wäre Kurz mit den NEOS wohl am meisten gezwungen, nicht nur von Reformen zu reden, sondern auch zu handeln. Und zwar auch bei österreichischen Staatsbürgern, indem er zu Pensionsreformen ebenso schreitet wie zu Steuersystemreformen. Ob er dazu bereit ist? Bisher hat er solche Ansätze gemieden und lieber Symbolpolitik betrieben bzw. allenfalls nur Nicht-Österreichern zugesetzt.