ANALYSE. Sebastian Kurz hat die ÖVP in der Hand. Damit erübrigt sich die Frage nach einem möglichen politischen Comeback.
Ganz der Alte. Am Tag nach dem Freispruch gab Sebastian Kurz eine Pressekonferenz und sprach wie eh und je: „Ich glaube, ich habe in meiner Zeit (als Politiker; Anm.) versucht, es immer positiv anzulegen und andere nicht anzugreifen“, sagte er beispielsweise. Dabei ist durch diverse Chats längst das Gegenteil erwiesen. Wie er angeboten hat, den Ausbau der Nachmittagsbetreuung an Schulen zu torpedieren oder gefordert hat, einem Kirchenvertreter „Vollgas“ zu geben. Man muss es wiederholen.
Andererseits war die Verfahrensdauer und der ganze Aufwand wegen einer möglichen Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss schon heftig. Und dass sich Kurz dann auch noch für zwölf Verhandlungstage in den großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichtes muss, „wo sonst Mörder und Schwerverbrecher sich verantworten müssen“, wie er nun selbst betonte: Muss das sein? Er selbst würde das wohl gerne als Suggestivfrage verstanden wissen, um eine Justizreform in Gang zu bringen.
Über eine Solche sei am Abend bei einer Party für Sebastian Kurz geredet worden, berichtet die „Krone“: „Bei Leberkässemmeln, Fingerfood, Wein, Bier und Gin Tonic wurde ab 19 Uhr bis Mitternacht gefeiert. Mitgastgeber waren Kurz’ Bürokollegen und engste Vertraute Gernot Blümel und Elisabeth Köstinger. Zu Besuch waren aber auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, ÖVP-Klubobmann August Wöginger und der neue Bundesparteigeschäftsführer Dominik Ramusch …“
Schon von daher erübrigt sich die Frage nach einem möglichen politischen Comeback: Wäre er nicht so jung, könnte man von der „grauen Eminenz“ sprechen. Allein die Gästeliste spricht Bände. Wenn er betont, dass er sich auch in Zukunft „in Debatten einbringen“ werde, dann ist das Understatement.
In Wirklichkeit hat Kurz die ÖVP in die Hand bzw. lässt sie das zu. Unlängst stand hier ein Beitrag dazu, dass der Boulevard so auf Herbert Kickl fliegt, weil dieser im Unterschied zu ÖVP-Chef, Kanzler Christian Stocker etwa „Klicks“ bringe. Kurz tut das nicht weniger. Im Gegenteil: Vergleicht man „Google-Suchanfragen“ der vergangenen 90 Tage, sieht man, dass auf Kurz nach dem Freispruch mehr entfielen als auf Kickl und Stocker jemals in diesem Zeitraum. Was umso bemerkenswerter ist, als Stocker da u.a. als Kanzler angelobt wurde und eine Regierungserklärung hielt.
Der inseratenhungrige Boulevard pusht also Kurz und schwarze Granden kommen, wenn er zur Party ruft. Wichtiger: Sie selbst haben nach wie vor die Krise. Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen, dass die Partei aber weiterhin kaum mehr als 20 Prozent hält, ist alarmierend für sie; vor allem weil zunehmend sickert, dass Stockers Ruhe und Gelassenheit eher nur Sprach- und Planlosigkeit kaschieren soll. Es ist jedenfalls nicht erkennbar, wofür er steht und wohin er will. Die Floskel „Das Richtige tun“ kann nicht darüber hinwegtäuschen. Wenn, dann nimmt er allenfalls Anleihe bei Kurz, kopiert Freiheitliche und greift den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an.
Kurz, der eben reichweitenstarke Medien hinter sich hat, bleibt dadurch der Chef für die ÖVP. Nicht, dass irgendwer glaubt, er könnte wieder 37,5 Prozent bringen bei einer Nationalratswahl, aber es gibt in ihren Reihen sonst niemanden, der sie auch nur in die Nähe eines Duells mit der FPÖ führen könnte. Ihm wäre das vielleicht noch möglich, auch wenn sie damit ihre Seele einmal mehr verkaufen müsste und sich wieder ganz einem rechtspopulistischen Kurs verschreiben würde, der mit Trump, Orban und im Grunde auch Kickl exakt gar kein Problem hat. Ihr Problem ist jedoch, dass sie sich selbst keine Perspektive zu erarbeiten vermag.