ANALYSE. Spätestens beim zweiten Mal Lesen fällt auf, wie sehr sich Kickl und die FPÖ selbst widersprechen.
Der Zustand der Demokratie ist nicht ideal, durch das, was die FPÖ in ihrem Wahlprogramm vorsieht, würde er sich radikal verschlechtern. Das Ziel? Eine Republik, in der ein Volkskanzler Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen und sie für seine Zwecke einsetzen kann, wie’s ihm gefällt.
Es lässt schon tief blicken, dass es die FPÖ zunächst auf Wahlen abgesehen hat und die Absicht zu verfolgen scheint, die Beteiligung zu senken. Die Briefwahl solle jedenfalls abgeschafft werden. So mir nichts, dir nichts. Zur Erinnerung: Bei der jüngsten Europawahl hatten bundesweit knapp 960.000 Wahlberechtigte eine Wahlkarte beantragt. Mehr als ein Fünftel der Stimmen dürfte letzten Endes auf diesem Weg abgegeben worden sein. Ein Problem, das Freiheitliche damit haben könnten: Bei Briefwählern schneiden sie meist weniger gut ab. Ist das aber ein Grund, den Zugang zu Wahlen zu erschweren? Natürlich nicht.
Umgekehrt solle die direkte Demokratie gestärkt werden, sollen schon ab 250.000 Unterstützungserklärungen Volksabstimmungen durchgeführt werden müssen. Wenn’s sein soll, auch über die Wiedereinführung der Todesstrafe, wie Kickl betont, nicht ohne hinzuzufügen, dass er gegen sie sei.
Diese Maßnahme ist unter den gegebenen Umständen eine Systemzerschlagungsmaßnahme: Regierende könnten aufhören, zu planen. Es wäre jederzeit damit zu rechnen, dass jemand eine Abstimmung für oder gegen etwas durchsetzt. Gut, mag man einwenden, das sei direkte Demokratie. Aber: Wenn man das ernst meint, müssen zwingend drei Dinge damit einhergehen: Eine Demokratisierung möglichst aller Lebensbereiche, damit eine Kultur des Mitbestimmens entsteht; eine Stärkung der Gesellschaft durch Information bzw. Qualitätsjournalismus; und eine Schwächung der Parteien.
Das hängt alles zusammen. So lange eine Partei so viel Geld wie in Österreich erhält; und so lange sie in Regierungsfunktion willkürlich über Inseratenvergaben verfügt und über den Stiftungsrat Einfluss auf den ORF nimmt, so lange hat sie alle Hebel in der Hand, um die Öffentlichkeit zu manipulieren. Wichtiger: Wenn diese Regierungspartei dann auch noch von einem Volkskanzler geführt wird, der sich anmaßt, zu wissen, was gut für ein Volk sei, dann gute Nacht.
Umso wichtiger ist, dass die FPÖ in ihrem Wahlprogramm keiner der nötigen Begleitmaßnahmen zu einem Ausbau der direkten Demokratie gerecht wird: Österreich verfügt über die wahrscheinlich höchste Parteienförderung weltweit (gemessen an der Wählerschaft). Der Begriff Parteienförderung kommt im Programm jedoch nicht vor, Anpassungen in der Vergangenheit hat Kickl verteidigt (im Unterschied zu jenen für Politikerbezüge). Ihm sind starke Parteien also sehr wichtig. Das ist ein Widerspruch zu einer sogenannten Volksherrschaft.
Demokratisierung kommt im Wahlprogramm auch nicht wirklich vor. Gut: Für Schulen ist mehr Demokratiebildung angekündigt. Aber: Während an anderer Stelle eine Abschaffung der Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt gefordert wird, weil sie angeblich nur Diffamierung und Vernaderung diene, wird hier eine Meldestelle gegen politisierende Lehrer verlangt. Was wäre das Ergebnis davon? Wohl Diffamierung und Vernaderung, jedenfalls aber eine Lehrerschaft, die es vermeidet, auch nur im Ansatz über Politik zu reflektieren; die allein schon dadurch einem Volkskanzler nützlich wäre.
Direkte Demokratie setzt schließlich eben auch eine informierte Öffentlichkeit voraus. Es ist unbestritten, dass der ORF hier eine besondere Rolle spielt. Diesen will Kickl jedoch massiv schwächen und die Gebührenfinanzierung abschaffen. In der Medienförderung will er eine Objektivierung dahingehend, dass sämtliche Titel „unabhängig von ideologischen Festlegungen teilhaben können“. In seiner Zeit als Innenminister hieß das, dass es auch Inserate für den rechtsextremen „Wochenblick“ gab.
Vielversprechend klingt ein nationaler Medienfonds für österreichische Medien, in den „Big-Tech-Konzerne“ wie Meta Facebook, Instagram oder Google einzahlen sollen. Aber: Die Gelder sollen „gegliedert nach der jeweiligen Reichweite“ vergeben werden. „Krone“, „Heute“ und „Österreich“ würden sich freuen – es würde sich um eine riesige Boulevard- bzw. Kampagnenblätterförderung handeln. Qualität wäre seinem Ende um einen weiteren Schritt näher.