ANALYSE. In wesentlichen Fragen hat die SPÖ nur einen Mitbewerber, der Relevantes zu bieten hat. Zumal sich ÖVP und FPÖ Populismus verschrieben und damit abgemeldet haben.
Es ist bemerkenswert, worum sich ÖVP und FPÖ so gar nicht kümmern: Chancengerechtigkeit. Dabei geht es darum, dass es (möglichst) alle gleich weit bringen können, wenn sie wollen. Laut „Eurobarometer“-Spezialbefragungen ist der Anteil der Menschen in Österreich, die eine solche nicht (mehr) gewährleistet sehen oder die diesbezüglich ihre Zweifel haben, in den vergangenen Jahren um ein Drittel auf 41 Prozent gestiegen. Genauer: Man kann davon ausgehen, dass es heute schon mehr sind. Das war der Stand 2022.
Man würde glauben, dass das eine der Kernfragen ist, der sich Parteien widmen müssen. Wenn eine Masse nicht mehr an Chancengerechtigkeit glaubt, dann schwächt das möglicherweise das Vertrauen in viel mehr: den Wohlfahrtsstaat, die Regierung etc.
Wahrnehmen werden das wohl alle Parteien. FPÖ und ÖVP, die ersterer zumindest auf Bundesebene folgt, haben sich jedoch darauf verschrieben, davon abzulenken und Stimmungen anders zu bedienen: Man kann ja so tun, als wäre Zuwanderung das Problem. Beziehungsweise Leute, die daherkommen und nur Sozialleistungen ausnützen würden. Man kann im Übrigen den Eindruck vermitteln, als wäre eine der entscheidenden Zukunftsfragen, Klimaaktivsten den Kampf anzusagen und abgesehen davon Bargeld in der Verfassung zu verankern. Klug ist es nicht. Und lösungsorientiert schon gar nicht.
Die Grünen stellen zwar den Sozialminister, sind einerseits aber mit Regierungsgeschäften und allem ausgelastet, was an der Seite der ÖVP damit einhergeht. Andererseits bleiben sie eine stark auf Umwelt- und Klimathemen fokussierte Partei. Um Bildung, einem Schritt hin zu Chancengerechtigkeit, kümmern sie sich etwa nicht mehr wahrnehmbar. Oder weiß jemand, wer ihr:e Bildungssprecher:in ist? Es ist bezeichnend.
Mit Andreas Babler hat nun ein Mann die SPÖ-Führung übernommen, der im Unterschied zu seiner Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner soziale Themen im weitesten Sinne in den Mittelpunkt gerückt hat. Und zwar mit, wenn man so will, kantigen, jedenfalls aber linken Ansätzen. Er erklärt vereinfacht ausgedrückt, wieder für Verhältnisse zu sorgen, in denen niemand zurückbleibt. Sein Programm ist das eines sehr starken Staates, in dem vor allem Reiche mehr als heute zahlen müssten.
Wer hält dagegen? FPÖ, ÖVP und Grüne sind in diesem Beitrag bereits erwähnt worden. Bleiben die Neos: Sie bilden in Stil wie Inhalt einen Gegenpol zu Babler. Sie setzen, ebenfalls vereinfacht ausgedrückt, auf einen schlanken Staat, der Kindern, frei nach Parteigründer Matthias Strolz, durch Bildung Flügel verleiht, aber dann gerade auch in Krisen auf Leistungsfähigkeit setzt. Sie sind im Übrigen die einzigen, die zum Beispiel nennenswerte Pensionsreformen fordern. Bei alldem gibt es für sie jedoch Grenzen: Beate Meinl-Reisinger und ihr engstes Umfeld sagen etwa nicht, Arme seien an ihrem Schicksal selber schuld.
Demokratiepolitisch ist es wichtig, dass es zu wesentlichen Fragen nicht nur linke Ansätze gibt, die allenfalls empört – mit Worten wie „Klassenkampf! oder „Häuslbauersteuer!!“ – zurückgewiesen werden, sondern auch Ansätze, die sich substanziell davon unterscheiden. Immerhin geht es darum: Erstens Probleme, die angegangen werden müssen. Und zweitens eine möglichst breite Auseinandersetzung mit Lösungsmöglichkeiten inkl. jeweiligen Chancen und Risiken.
Natürlich sollte man jetzt nicht meinen, dass SPÖ und Neos bei der kommenden Nationalratswahl 40 und 20 Prozent erreichen werden. Zunächst ist offen, ob es Babler gelingt, eine Diskursverschiebung durchzusetzen. Angriffe gegen Reiche könnten genauso gut Hebert Kickl (FPÖ) stärken, der sich dafür anbietet, eine „Elite“ zu treten. Darüber hinaus aber bleiben Potenziale begrenzt. In einem Land wie Österreich, in dem eine Mehrheit erwartet, in jedem Fall durch die öffentliche Hand (auf-)gehalten zu werden, ist es schon beachtlich, wenn Neos in Umfragen schon länger gut zehn Prozent halten.