ANALYSE. Die Debatte über eine Regierungszusammenarbeit von ÖVP und SPÖ ist kontraproduktiv. Sie trägt eher zur Verfehlung ihres Zieles bei.
Rufe nach einer „Großen Koalition“, unter der eine Regierungszusammenarbeit von ÖVP und SPÖ sowie Grünen oder Neos verstanden wird, sind gut gemeint. Insofern nämlich, als es darum geht, einen „Volkskanzler“ Herbert Kickl (FPÖ) zu verhindern, der schon allein durch sein Verständnis von politischer Führung zum Ausdruck bringt, dass er gewillt ist, Demokratie abzubauen. Das Problem ist jedoch, dass sie kontraproduktiv sind. Dass es sich um einen unfreiwilligen Beitrag zur Verhinderung einer „GroKo plus“ handelt.
Umfrageergebnisse verdeutlichen zumindest, was möglich bzw. in einem gewissen Maß wahrscheinlich ist. Sehr wahrscheinlich wäre im Moment, dass die FPÖ bei einer Nationalratswahl auf Platz eins landen und Kickl den Anspruch erheben würde, einen Regierungsbildungsauftrag zu erhalten.
Es ist jedoch gefährlich, so zu tun, als wäre die Wahl bereits geschlagen, habe die FPÖ haushoch gewonnen und gehe es jetzt nur noch darum, eine Koalition gegen sie zu bilden. Warum? Zum einen weil das erst recht mobilisierend für die FPÖ bzw. sogar demobilisierend für ÖVP und SPÖ wirken könnte; weil damit riskiert wird, dass es am Wahlabend eine noch bösere Überraschung gibt als es ohnehin schon zu befürchten ist.
Im Falle der FPÖ beruht diese Aussage auf der Annahme, dass man Kickl im Unterschied zu seinen Vorgängern nicht mehr groß schaden kann, wenn man ihn ausgrenzt. Das Schlimme ist nämlich, dass er von einer Art „Trump-Effekt“ profitiert: Gerade auch weil es durch ihn möglich ist, „der Politik“ eine grundsätzliche Absage zu erteilen, wird er von so vielen unterstützt. Das weiß er und daher hat er auch schon versprochen, als „Volkskanzler“ gegen „die da oben“ zu treten. Das macht ihn für eine Masse nur noch attraktiver.
Das heißt nicht, dass man eine Regierungszusammenarbeit mit ihm nicht ausschließen soll. Im Gegenteil. Zumindest ebenso wichtig ist es vor der Wahl jedoch, dass alle übrigen Parteien für sich daran arbeiten, so stark wie (noch) möglich zu werden. Das ist umso wichtiger, als es ihnen an einer gemeinsamen Erzählung, einem gemeinsamen Programm fehlt, das über „Kickl verhindern“ hinausgeht, sodass es schwer ist, mit dem Werben für eine bestimmte Koalitionsform zu punkten.
Und zumal für die ehemaligen Großparteien besondere Umstände dazukommen. Beginnen wir bei der ÖVP: Sie ringt mit der FPÖ um hunderttausende Wähler. Im Moment hat sie schlechte Karten, jedoch beschlossen, sich weiter darum zu bemühen. Man kann sagen, das sei selbstmörderisch. Selbstmörderischer aber wäre es in dieser Lage für die Karl Nehammar-ÖVP, sich auf eine Koalition gegen die FPÖ festzulegen. Sie würde auf weniger als 20 Prozent fallen. Zu glauben, dass sie im Gegenzug mehr Wähler aus der Mitte gewinnen würde, wäre leichtfertig. Da stoßen auch Neos und Grüne auf Zuspruch, da ist von heute auf morgen wenig zu machen.
Für die SPÖ gilt in gewisser Weise sehr ähnliches: Andreas Babler ist nicht damit angetreten, mit dieser ÖVP zu koalieren. Ganz im Gegenteil, er lehnt diese ÖVP, unter anderem also Karl Nehammer, als politischen Partner ab und hat sich gezielt auch inhaltlich gegen sie positioniert. In den eigenen Reihen hat das zum Teil für Begeisterung gesorgt, ja dazu beigetragen, dass er Parteivorsitzender werden konnte. Davon kann er jetzt kaum abrücken, zumal er es ja auch noch durch Forderungen wie jene nach einer Erbschaftssteuer und einer 32-Stunden-Arbeitswoche verstärkt hat. Anders ausgedrückt: Würde er davon abrücken, und plötzlich demonstrativ bedingungslos-großkoalitionär auftreten, er müsste befürchten, bei den Anhängern, die er hat, zu verlieren und – insbesondere auf die Schnelle bis zur Wahl – kaum andere dazuzugewinnen.