Aussitzen geht nicht

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ANALYSE. Korruption kann ein wahlentscheidendes Thema sein. Auch in Zeiten wie diesen. Und: Warum wird Nehammer nicht die Kurz-Rede vom 18. Mai 2019 vorgelesen? Satz für Satz. Er wüsste, war er zu tun hat.

Thomas Schmid kam, sah und schwieg: Als Auskunftsperson vor den ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss geladen, verwies er bei sämtlichen Fragen auf das Auskunftsverweigerungsrecht; selbst bei jener, ob er Mitglied der Volkspartei sei. Das war den Abgeordneten zu viel, sie deckten ihn daher mit Anträgen auf Beugestrafe ein.

Nichts Neues also, was die ÖVP oder sonst jemanden belasten würde. Sie hat Schmid ohnehin schon als „Lügner“ abgestempelt. Alles erledigt, weitergehen, Thema wechseln? Das geht nicht. Aus mindestens drei Gründen: Die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sind (möglicherweise noch lange) nicht abgeschlossen. Auch in Zeiten wie diesen bleibt Korruptionsbekämpfung relevant. Ja, das Ganze kann sogar wahlentscheidend sein, wie die Volkspartei aus eigener Erfahrung weiß.

Das Meinungsforschungsinstitut Gallup hat gerade 1000 „webaktive“ ÖsterreicherInnen AB 16 befragt, zu welchen Bereichen eine Partei Lösungen bieten müsse, damit sie sie wählen. Das Ergebnis überrascht: Auf „Inflation, Teuerung“ (71 Prozent), „Energieversorgung“ (67 Prozent) sowie „Gesundheit und Pflege“ (62) folgt mit immerhin 60 Prozent „Ja, auf jeden Fall“-Angaben „Korruption“. Das ist damit wichtiger als Lösungen zu „Pensionen“ (58), „Wohnen“ (52), „Zuwanderung“ (51) oder „Klimawandel“ (42), geschweige denn „Umgang mit dem Ukraine Krieg“ (34 Prozent).

Behaupten lässt sich bei einer Umfrage viel. Es kann damit aber auch ernst gemacht werden. 2019 hat die Ibzia-Affäre den Freiheitlichen so sehr zugesetzt, dass ihr Chef, Heinz-Christian Strache, gehen musste und sie bei der Nationalratswahl im Herbst von 26 auf 16 Prozent abstürzten. Sebastian Kurz, der zwei Jahre später ebenfalls aufgrund einer Korruptionsaffäre gezwungen sein sollte, sich zu verabschieden, hatte gezielt darauf gesetzt.

Kurz legte damals Maßstäbe fest. Vergleich Wortlaut seiner Rede vom 18. Mai 2019 nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos: Er hat nicht auf eine Unschuldsvermutung gepocht, wie es ÖVP-Obmann Karl Nehammer heute tut. Es hat ihm dies gereicht: „Wirklich schwerwiegend sind die Ideen des Machtmissbrauchs und der Umgang mit dem Steuergeld und der Umgang mit der Presse.“ Damit schade die FPÖ dem Ansehen des Landes. Vor allem zeige sich abseits von Rücktritten „keine wirkliche Bereitschaft für eine tiefgreifende Veränderung auf allen Ebenen der Partei“. Das könnte man heute genau so auch der ÖVP vorhalten.

Ihr Glück ist, dass sie mit keinem Koalitionspartner konfrontiert ist, der ihre Krise aus rein parteipolitischen Motiven so gnadenlose gegen sie ausnützt, wie es Kurz damals gegenüber den Freiheitlichen gemacht hat; die Grünen tun das nicht. Dabei würde es genügen, wenn sie Karl Nehammer die Kurz-Rede vom Mai 2019 vorlesen würden. Satz für Satz. Nehammer müsste zu einer Erneuerung seiner Partei und zu ernsthafter Korruptionsbekämpfung schreiten.

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