Aussicht auf Kickl

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ANALYSE. In der Not pokert Karl Nehammer noch höher. Seine Chancen, einen „Volkskanzler“ zu verhindern, sind jedoch gering.

Karl Nehammer ist noch nicht zu Bundespräsident Alexander Van der Bellen gegangen, um mitzuteilen, dass er damit gescheitert sei, den Regierungsbildungsauftrag zu erfüllen. Das ist bemerkenswert: Mit der SPÖ kann er keine tragfähige Mehrheit auf parlamentarischer Ebene zusammenbringen und mit Neos als Dritte im Bund wird es nichts mehr.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Herbert Kickl ist dem Kanzleramt nähergekommen. Was also will Nehammer noch? Er spricht davon, dass er „konstruktive Kräfte der Mitte“ zusammenführen wolle.

Das ist – von seinem Standort aus – eine Botschaft in zwei Richtungen: An Neos-Wähler, die feststellen sollen, dass ihre Partei nicht mehr zur konstruktiven Mitte gehöre. Beate Meinl-Reisinger und Co. hätten sich ja rausgenommen. An Sozialdemokraten, die eher Pragmatiker der Macht sind und die daher ihre liebe Not mit Andreas Babler haben; sie sollen glauben, dass sie mit dem „richtigen“ Vorsitzenden dazugehören könnten. Oder zumindest zur Überzeugung gelangen, dass sie diesen dazu bringen müssten, weitreichendere Kompromisse einzugehen. Also nichts mit Erbschafts-, geschweige denn größerer Vermögensbesteuerung.

In Wirklichkeit könnte man jetzt natürlich lang und breit darüber schreiben, wie viel Mitte der ÖVP selbst noch ist. Zum Beispiel, wenn man an den türkisen Flügel denkt, der schlicht rechtspopulistisch ist. Oder an Landesorganisationen wie die niederösterreichische oder die steirische, die sich auf bescheidene Regierungsprogramme mit Freiheitlichen einlassen, die sich eher nur auf Fragen wie ein Gender- oder ein Kopftuchverbot beschränken.

Aber Nehammer geht es darum, den Boden für eine allfällige Neuwahl zu bereiten: Er hat keine Option mehr. Türkis-Rot-Pink, Türkis-Rot oder Türkis-Rot-Grün sind keine oder keine realistischen Varianten mehr (Türkis-Rot hätte nur ein einziges Mandat Überhang im Hohen Haus, da dürfte kein einziger von insgesamt 92 Mandataren aus gesundheitlichen oder anderen Gründen ausfallen, sonst wäre die Mehrheit gefährdet). Die FPÖ wird andererseits Kickl nicht fallen lassen, um so eine Zusammenarbeit mit der ÖVP zu ermöglichen.

Nehammer wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Bezug auf den Regierungsbildungsauftrag wohl enttäuschen müssen. Woraufhin Van der Bellen einmal mehr feststellen müssen wird, dass auch Kickl keine tragfähige Mehrheit auf parlamentarischer Ebene zusammenbringen kann, weil keine Partei mit ihm koalieren will.

Die Folge davon wäre eine Expertenregierung für den Übergang, wie sie vom burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) bereits erwartet wird. Und dann eben Neuwahlen.

Stand heute wird der FPÖ Platz eins nicht zu nehmen sein. Nehammer gibt sich jedoch nicht geschlagen. Seit der EU-Wahl und mehr noch seit der Nationalratswahl, als die ÖVP auf Patz zwei zurückgefallen ist, ist er davon überzeugt, sich gegen die FPÖ durchsetzen zu können. Grund: Der Rückstand fiel in beiden Fällen weniger groß als ursprünglich erwartet aus.

In den vergangenen Wochen hat die ÖVP verloren und die FPÖ gewonnen, das aber im Kontext mit den schwarz-rot-pinken Regierungsverhandlungen. Jetzt geht die Volkspartei von geschwächten Neos und bald auch ebensolchen Sozialdemokraten aus, die sich mit oder ohne Babler über den Verhandlungstisch ziehen lassen oder eben nicht.

Ob das gut ausgehen kann? Setzt sich die FPÖ, setzt sich Kickl bei Neuwahlen wieder durch, ist Nehammer als ÖVP-Chef Geschichte und seine Partei Steigbügelhalterin. Zumal es dem Trend entsprechen würde, den sie in Oberösterreich in Form einer entsprechenden Koalition eingeleitet und schließlich in Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg und der Steiermark fortgesetzt hat.

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