Auf Türkis-Blau ausgerichtet

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ANALYSE. Karl Nehammer konzentriert sich ganz auf die FPÖ als vermeintlich einzige Mitbewerberin. Die Option „Große Koalition“ hat sich damit auch für ihn erledigt.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und seine Medienberater begnügen sich nicht damit, eine große Rede anzukündigen, sie streuen vorab schon Inhalte, die erregen oder schon hundert Mal getätigt worden sind: Steuersenkungen beispielsweise. Oder ein Genderverbot für Verwaltung, Schulen und Universitäten bis 2030: Binnen-I, Doppelpunkt und dergleichen sollen dann der Vergangenheit angehören.

Wenn man bedenkt, dass in Europa Krieg herrscht, die USA bald wieder Donald Trump zum Präsidenten haben könnten, der dann vielleicht den Austritt seines Landes aus der NATO verkündet; wenn man bedenkt, dass europäische Integration und Rechtsstaatlichkeit durch extreme Rechte bedroht sind; oder wenn man etwa bedenkt, mit welchen demographischen Herausforderungen Österreich konfrontiert ist (Pensionen, Pflege, Arbeitskräftemangel, …), dann ist das ein starkes Stück.

Der Kanzler hebt lieber kleine Geschichten mit großer Symbolkraft hervor. Natürlich: Es sorgt für Gesprächsstoff, bringt Schlagzeilen und erspart den Leuten, sich mit beunruhigenden Entwicklungen auseinanderzusetzen. Staatstragend ist es nicht.

Andererseits ist es parteipolitisch vielsagend: Wie schon in seiner „Rede zur Lage der Nation“ vor einem Jahr, in der er Österreich als „Autoland“ bezeichnete, geht es ihm darum, Wähler zu umwerben, die rechts der Mitte stehen. Dazu soll er sich nun auch für einen neuen Straftatbestand für „Klimakleber“ aussprechen. Und eben das Genderverbot.

Das ist Klein-Klein, das man sich leisten kann, wenn man sich einbildet, auf einer Insel der Seligen zu leben. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass es für die ÖVP auf eine Koalition mit den Freiheitlichen nach der kommenden Nationalratswahl hinausläuft.

Der Kanzler präsentiert keine Gegenerzählung zu Herbert Kickl. Er greift das eine oder andere Thema von diesem auf und behandelt es abgemildert. Das ist an Wähler gerichtet, die zur FPÖ tendieren. Vielleicht, so ein mögliches Kalkül von Nehammer, gelingt es in Verbindung mit einer Absage an eine Zusammenarbeit mit der Person Herbert Kickl („Sicherheitsrisiko!“), auf diese Weise einige zur ÖVP zu ziehen.

Dann würde die Welt schon ganz anders ausschauen: Bei der Nationalratswahl könnten ÖVP, FPÖ und SPÖ ziemlich eng beieinander liegen. Ausgeschlossen ist nichts, es ist viel in Bewegung. Ein Blick auf den APA-Wahltrend zeigt zum Beispiel dies: Die FPÖ hält im Durchschnitt der Umfragen knapp 28 Prozent um damit um zwei Punkte weniger als vor einem Monat; der SPÖ werden 24 Prozent ausgewiesen und der ÖVP bei leicht steigender Tendenz rund 22.

Wichtiger ist jedoch die Weichenstellung, die Nehammer hier vornimmt bzw. unterlässt: Er begnügt sich auf einen Wettstreit mit der FPÖ um ein und dieselben Wählergruppen. Das hat schon Sebastian Kurz gemacht, mit Erfolg. Es heißt aber auch, dass es unter diesen Umständen eher nur eine türkis-blaue Koalition geben kann.

Türkis-Grün ist kein Widerspruch dazu. Im Gegenteil: Kurz hat sich 2019 im Glauben darauf eingelassen, dass er sich das mit den 37,5 Prozent für die ÖVP leisten kann. Ein bisschen war er dazu gezwungen, weil er eine Zusammenarbeit mit der SPÖ nicht wollte und eine solche mit der FPÖ nach Ibiza schwer wiederaufnehmen konnte. Im Übrigen konnte er nicht Wenige positiv überraschen damit. Das war ganz angenehm.

Auf dem Niveau, auf dem die Volkspartei heute liegt, ist ihr die Koalition mit den Grünen aber eher eine Belastung. Nehammer sieht sich ständig gezwungen, eigene Wähler zu beruhigen: Auch in diesem Kontext sind seine Aussagen zu Klimaklebern oder seine Bekenntnisse zum Schnitzel und dem „Autoland“ zu sehen. Einfacher wäre es für ihn, mit den Freiheitlichen gemeinsame Sache machen zu können. So könnte die ÖVP-Ausrichtung am ehesten beibehalten werden.

Schier unmöglich ist es für eine ÖVP, die sich rechts der Mitte positioniert hat, sich auf eine Koalition mit der Andreas-Babler-SPÖ einzulassen. Dieser hat sich zunächst selbst gegen Nehammer und zunächst auch gegen eine „Große Koalition“ gestellt, sie hat ihm einen stärkeren „Marx“-Stempel aufgedrückt und sich damit soweit distanziert von ihm, dass sie das nicht vergessen machen kann; sie würde einen erheblichen Teil ihrer Anhänger verlieren.

Wenn Nehammer für die ÖVP nicht nur die FPÖ-Perspektive sehen würde, hätte er längst beginnen müssen, sie neu zu positionieren; sich weniger mit Klimaklebern und einem Genderverbot zu beschäftigen, sondern mehr mit Angeboten an eine Mitte der Gesellschaft, die sich Wirklichkeiten im Jahr 2024 stellt und der Wahrheiten zumutbar sind – in Bezug auf die Klimakrise etwa genauso wie auf die erwähnten Herausforderungen, von Sicherheit bis zum demographischen Wandel.

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