Angriff aufs Parlament

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BERICHT. Ausgerechnet Nationalratspräsident Sobotka (ÖVP) will die Wahrheitspflicht vor dem U-Ausschuss abschaffen. Parlamentarische Kontrolle wäre damit geschwächt. Das Muster ist bekannt. Zuerst war die Justiz dran.

„Recht muss Politik folgen, nicht Politik dem Recht.“ Vor zwei Jahren verteidigte der damalige Innenminister und nunmehrige Klubobmann der FPÖ, Herbert Kickl, seine Forderung, verurteilten Asylberechtigten den Schutzstatus abzuerkennen, unter anderem mit diesen Worten. Juristen hatten erklärt, dass dies nicht zulässig wäre. Antwort Kickl (sinngemäß): Zulässig ist, was die Politik möchte.

Die ÖVP übernimmt diesen Zugang nicht nur, sondern pervertiert ihn sogar noch: Möglich soll demnach sein, was persönlichen Interessen dient. Dazu ist alles recht, gibt es keine Grenzen: Eine Zerschlagung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wird vorgeschlagen, nachdem sie sich Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) vorgenommen hat und damit auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sehr nahegekommen ist. Hätte sie einen solchen Zusammenhang vermeiden wollen, hätte sie zumindest gewartet, bis laufende Ermittlungen abgeschlossen sind.

Ähnliches gilt für weitere Forderungen: Ausgerechnet in zeitlicher Übereinstimmung mit diesen Affären soll die Strafprozessordnung dahingehend geändert werden, dass Beschlagnahmungen (auch) bei Regierungsvertretern schwer bis unmöglich werden. Staatsanwälte sprechen von „Zwei-Klassen-Justiz“, de facto würde es sich um eine Schutzmaßnahme für einen Raum handeln, in dem Korruption stattfinden könnte.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) fordert das Kanzleramt auf, dem Ibiza-U-Auschuss E-Mails aus den vergangenen Jahren zu liefern? Was kommt, sind 692 Mails von Mitarbeitern, dass es nichts zu liefern gebe. Wie Kurz schon gesagt hat: „Was es nie gegeben hat oder was vernichtet worden ist, das kann natürlich nicht geliefert werden.“

Wobei es selbstverständlich ein Glaubwürdigkeitsproblem gibt, das sich Kurz selbst zuzuschreiben hat: Bei seiner Aussage vor dem U-Ausschuss vor bald einem Jahr gab er 29 Mal an, keine Erinnerung zu haben. Gernot Blümel übertraf das mit gar 89 Mal – darunter der fast schon legendären Erinnerungslücke bezüglich eines eigenen Laptops.

Das führt zum jüngsten Vorstoß von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Auskunftsperson vor dem U-Ausschuss der Wahrheitspflicht zu entbinden: „Ich kann mir das deutsche Modell vorstellen. Bei uns hat jede Person, die Auskunftsperson ist, eine ungeheure Sorge dort etwas Falsches zu sagen, weil sie dort unter Wahrheitspflicht steht. In Deutschland gibt es das nicht“, so Sobotka auf PLUS 24. Absurd: Wie der Sender ausführt, gibt es in Deutschland sehr wohl eine Wahrheitsplicht: „Falschaussagen können Strafverfahren mit Geld- oder sogar Freiheitsstrafen nach sich ziehen.“

In Wahrheit würde eine solche Maßnahme einer Zertrümmerung des Parlaments gleichkommen: Zumindest die Aufgabe, Kontrolle auszuüben und politische Verantwortung einzufordern, könnte es schwerer bzw. in Teilen gar nicht mehr erfüllen, wenn Auskunftspersonen bedenkenlos lügen dürften.

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