Alt-Wien

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ANALYSE. Wie sich auch Vertreter der Opposition in der Bundeshauptstadt gerne versorgen lassen, ja es sich auch Freiheitliche unter ihnen richten lassen. Es mag für die führenden Sozialdemokraten eine Freude sein, ist jedoch eine Zumutung.

Der Wirtschaftsagentur Wien wohnt ein sozialpartnerschaftlicher Geist inne, der sich in der Bundeshauptstadt gehalten hat wie sonst nirgends: Der Bürgermeister tritt gefühlt öfter mit dem Wirtschaftskammerpräsidenten als der Vizebürgermeisterin auf, eröffnet mit diesem die Schanigartensaison in der City genauso wie die Sommersaison auf der Alten Donau. Es ist schon vor Michael Ludwig (SPÖ) und Walter Ruck so gewesen und wird von ihnen weiter gepflegt. Dass der Kammerpräsident der ÖVP angehört und diese auf kommunaler Ebene in Opposition ist, spielt keine Rolle.

Das ist nicht schlecht, bei der Wirtschaftsagentur Wien ist’s aber gerade zu weit gegangen: Sie wird im Wesentlichen von der Stadt und der Kammer betrieben, ist also nicht privat und kann daher nicht machen, was sie will. Genauer: Es widerspricht jeglichem Verständnis von politischer Korrektheit, dass der bisherige Gemeinderat, Ex-ÖVP-Chef Manfred Juraczka ohne Ausschreibung zum zweiten Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur gemacht wurde.

Wobei man sich über so vieles wundern kann: Hat die SPÖ noch immer nicht kapiert, wie viel Schaden durch Postenschacher angerichtet wird? Wie sehr das Vertrauen der Bevölkerung dadurch verloren geht? Und wie viel Selbstachtung hat ein ehemaliger Politiker, der da mitspielt? Vor allem wenn er aus einer Partei kommt, die tagein, tagaus von „Leistung muss sich lohnen“ und solchen Dingen redet?

Es spielt keine Rolle, dass dem Ganzen wie gesagt ein sozialpartnerschaftlicher Geist innewohnt. Auch bei einem solchen müssen Bestellvorgänge nach nachvollziehbaren Kriterien laufen. Hat die Öffentlichkeit Anspruch darauf, zu erfahren, was den Türkisen Juraczka fachlich qualifiziert für den Posten; was ihn zum bestmöglichen Mann dafür macht.

Derlei wird aber nicht einmal zu kommunizieren versucht. Die Causa Wöginger hat nicht gereicht. Das ist das Schlimme: Man weiß, dass es bei sehr vielen Menschen die Überzeugung stärkt, dass es sich die da oben richten und nimmt es einfach hin.

Wobei das besonders Bemerkenswerte in Wien ist, dass die Herbert-Kickl-Partei einerseits profitiert von der „Die da oben richten es sich“-Stimmung und es sich andererseits gerne auch selbst richten lässt: Sechs nicht amtsführende, de facto also arbeitslose Stadträte gibt es in der Bundeshauptstadt, drei davon kommen von der FPÖ: ihr Obmann Dominik Nepp, Stefan Berger sowie Ulrike Nittmann. Dafür, dass sie fast nichts tun, erhalten sie 11.318,40 Euro brutto pro Monat. Inklusive Vergütungen für Mitarbeiter kommen jährlich 327.710 Euro zusammen bzw. allein für die drei freiheitlichen nicht amtsführenden Stadträte summa summarum gut eine Million.

Es entspricht dem Proporzgeist der Zweiten Republik und einer Regelung, die für Gemeinden gilt: Alle Parteien haben Anspruch auf Vertretung im Vorstand bzw. der Regierung. Es ist einerseits ein schöner Zug aus Sicht der in Wien bestimmenden Sozialdemokratie, andererseits aber auch ein demokratiepolitisches Problem: Es ist unvereinbar mit der Rolle derer, die in Wirklichkeit nicht mitregieren, sondern als Opposition kontrollieren und kritisieren sollten.

Das System der nicht amtsführenden Stadtregierungsmitglieder gehört daher abgeschafft. Notwendig dafür wäre eine Verfassungsänderung. Darauf könnte die FPÖ auf Bundesebene drängen, ja müsste sie, so wie sie sonst immer redet. Insofern ist es entlarvend, dass sie es nicht tut.

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