BERICHT. Im Rahmen eines Forschungsjahres im Parlament hat ein Politologe untersucht, auf wen sich Abgeordnete bei Entscheidungen stützen. Ergebnisse liegen jetzt vor.
Der Politologe Josef Lolacher hat es sich nicht einfach gemacht und die ganze Arbeit mit der Unterstellung erspart, dass sich Abgeordnete ohnehin nur an einen Klubzwang halten würden; dass sie sich selbst also nicht groß Gedanken machen würden bei Entscheidungen. Im Rahmen seines Forschungsjahres im Parlament 2024/25 hat Lolacher untersucht, wie sehr sie wissenschaftliche Expertise und öffentliche Meinung einbeziehen. Dazu hat er insgesamt 187 Nationalrats- und Landtagsabgeordnete befragt.
Ein zentrales Ergebnis betrifft das Vertrauen der Abgeordneten in „Wissenschaftler im Allgemeinen“, angegeben auf einer Skala von 1, wie überhaupt kein Vertrauen, bis 7, wie volles Vertrauen. Alles in allem ist dabei ein Durchschnittswert von 5,43 herausgekommen.
Allerdings: Bei Grünen und Neos liegt der Wert mit 6,21 bzw. 5,94 deutlich sowie bei Vertretern der ÖVP und der SPÖ mit 5,58 bzw. 5,51 leicht darüber. Bei Freiheitlichen liegt er hingegen mit 4,21 weit darunter. Lolacher: „FPÖ-Abgeordnete bilden damit die klare Ausnahme: Sie vertrauen Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftlern im Durchschnitt nicht nur deutlich weniger als Abgeordnete aller anderen Parteien, sondern äußern teils sogar höheres Vertrauen in „Mitbürger“ (4.86) als in Expertinnen bzw. Experten.“
Anders ausgedrückt: Sie seien eher bereit, Laienurteile über wissenschaftliche Einschätzungen zu stellen. Das decke sich „mit der bestehenden Populismusforschung, die einen engen Zusammenhang zwischen wissenschaftsskeptischen Haltungen und (rechts-)populistischen Einstellungen dokumentiert“. Wissenschaftsskepsis werde dabei „als charakteristisches Element populistischer Rhetorik verstanden, die etablierte Institutionen – darunter auch wissenschaftliche – zugunsten eines vermeintlich authentischen „Volkswissens“ delegitimiert.“
Mehrere Interviews deuten laut Lolacher darauf hin, dass die Coronakrise für viele Abgeordnete aller Parteien „ein zentraler Lernmoment im Hinblick auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik war“. Sie würden zwar die Relevanz von Wissenschaft als Entscheidungsgrundlage im politischen Prozess betonen, gleichzeitig aber die Vorstellung technokratischer Entscheidungsfindung „klar“ ablehnen, „da diese demokratische Legitimation, politische Verantwortung und die notwendige Vermittlungsleistung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft unterlaufen würde“.
Bemerkenswert ist umgekehrt die Feststellung Lolachers, dass viele Wählerinnen und Wähler evidenzbasierte Entscheidungen bevorzugen, ja von Abgeordneten erwarten würden, „wissenschaftliche Erkenntnisse ernst zu nehmen“, dass sie also bei weitem nicht (nur) Wert drauf legen würden, dass ein „Mehrheitswille“ befolgt wird.
