ANALYSE. Nicht nur, dass der Nationalratspräsident Volksvertreter anpatzt: Er nimmt auch hin, dass sie in der Krise keine wahrnehmbare Rolle spielen,
Wolfgang Sobotka findet nichts daran, Vorsitzender des „Ibiza“-U-Ausschusses und Auskunftsperson in demselben zu sein. Er wechselt einfach die Rollen, fertig. Er weiß auch nicht, was verwerflich daran sein soll, dass sich der Alois-Mock-Verein unterstützen ließ vom Glücksspielkonzern Novomatic. Allein schon, dass er sich so uneinsichtig gibt, wäre ein Rücktrittsgrund: Es ist doch offensichtlich, dass Novomatic keine Wohltätigkeitgesellschaft ist und auch nur einen Cent ohne Motiv vergibt; das Unternehmen verfolgt natürlich wirtschaftliche Interessen, und wer sich im Entferntesten darauf einlässt, der setzt sich automatisch dem Verdacht aus, im Gegenzug eine Verpflichtung eingegangen zu sein. Daher lässt er die Finger davon – oder macht zu seinem eigenen Schutz von vornherein alles öffentlich. Ganz einfach.
In zahlreichen Branchen außerhalb der Politik gibt es sogar Regelwerke dafür. Journalisten haben beispielsweise den Ehrenkodes der österreichischen Presse. Darin heißt es etwa: „Wer im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Journalist/in Geschenke oder andere persönliche Vorteile entgegennimmt, die geeignet sein könnten, die journalistische Darstellung zu beeinflussen, verstößt gegen das journalistische Ethos.“ Oder: „In Berichten über Reisen, die auf Einladung erfolgten, soll auf diese Tatsache in geeigneter Form hingewiesen werden.“ Das eine wie das andere geht vom Naheliegenden aus: Kein Journalist bekommt direkt oder indirekte etwas, weil er sympathisch ist, sondern ausschließlich aufgrund seiner Rolle als Multiplikator und vielleicht auch Meinungsmacher. Allein das macht ihn interessant, ohne Medium ist er nichts.
Doch zurück zu Sobotka: Dass seine Befangenheit im U-Ausschuss von Abgeordneten thematisiert wird, nimmt er nicht nur nicht hin; in einem ZIB 2-Interview hat er zuletzt folgendermaßen reagiert: Es handle sich erstens um eine „Täter-Opfer-Umkehr“ und zweitens um „Mobbing im klassischen Sinn“. Im Grunde genommen betrieb er damit eine doppelte Kriminalisierung („Täter-Opfer“, „Mobbing“) und verunglimpft so auch noch Volksvertreter (mit Ausnahme jener der ÖVP natürlich).
Das ist Rufschädigung gegenüber dem Parlament, betrieben ausgerechnet von seinem Präsidenten. Wobei man jetzt darüber streiten könnte, was schlimmer ist: Das bisher Erwähnte oder Nachfolgendes.
Die Coronakrise ist auch insofern eine demokratische Zumutung, als es zur Normalität geworden ist, am Parlament vorbei oder nur unter seiner allernötigsten Einbindung zu agieren. Das virologische Quartett, also Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler sowie Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer, hat diese Woche beispielsweise wieder einmal weitreichende Maßnahmen verkündet. Wie gewohnt auf einer Pressekonferenz – und nicht vor den Abgeordneten. Selbst ihre Kollegen im bayerischen Landtag werden diesbezüglich mehr respektiert: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will heute eine wichtige Erklärung abgeben – und er tut das vor seinem Parlament. Eigentlich logisch: Ihm ist er verantwortlich. In Österreich ist das nicht so selbstverständlich. Im Gegenteil.
Bleiben wir in Deutschland und wechseln nach Berlin: Der „Spiegel“ berichtet hier, dass Sobotkas Kollege, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden schrieb, dass der Bundestag „seine Rolle als Gesetzgeber und öffentliches Forum deutlich machen“ müsse, „um den Eindruck zu vermeiden, Pandemiebekämpfung sei ausschließlich Sache von Exekutive und Judikative“.
Auf Österreich umgelegt und salopp formuliert würde das bedeuten, dass Sobotka an seine Abgeordneten (also alle) appelliert, es sich nicht länger bieten zu lassen, dass die Leute draußen glauben müssen, dass Kurz, Kogler, Anschober und Nehammer das Land ohne Volksvertreter durch die schweren Zeiten führen und dabei auch die größten Entscheidungen alleine treffen: Es ist undenkbar, dass er das tut. Und das zeigt auch schon, wie wenig er seiner Rolle im Sinne des Parlaments gerecht wird.
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