DIE KOLUMNE VON LIBERO*. Nationalratspräsidentin Bures ist tief in der Wiener SPÖ verstrickt, ihre Motive sind unklar: Loyalität zum Kanzler oder Absprung?
In der Wiener SPÖ ist ein veritabler Richtungsstreit über die die Flüchtlingspolitik ausgebrochen: Humanität kontra Härte. Das ist mehr als die Auseinandersetzung zu einem Thema und nicht nur ein lokalpolitisches Ereignis. Vielmehr könnte es zum Showdown kommen – in Wien wie auf Bundesebene.
Faymann hat in der Flüchtlingspolitik eine atemberaubende Kursänderung vollzogen, die ausschließlich vom eigenen politischen Überleben bestimmt ist. Er will die SPÖ deutlich nach rechts schieben, in der Hoffnung, so den Aufstieg der FPÖ zu stoppen und den eigenen Niedergang irgendwie zu verhindern. Das ist ebenso rückgrat- wie aussichtslos. Selbstverständlich kann eine Sozialdemokratie in einer so elementaren Frage, wie sie es mit dem Asylrecht hält, nicht von heute auf morgen ihre Tradition, ihre Grundwerte, ihr Programm abwerfen. Hier geht es um gelebte Solidarität mit Menschen in Not, sozialdemokratische Kernkompetenz. Faymann ersetzt Prinzipien durch Handeln für den Tag. Er klammert sich an die Macht, die angesichts der aktuellen Performance der Bundesregierung ohnehin lächerlich klein wirkt.
Rätselhaft ist, warum sich innerhalb der SPÖ kein Widerstand gegen eine derart antisozialdemokratische Politik regt.
Rätselhaft ist, warum sich innerhalb der SPÖ kein Widerstand gegen eine derart antisozialdemokratische Politik regt, warum sich niemand gegen den anhaltenden Niedergang auflehnt. Entweder ist die Partei tatsächlich organisatorisch, personell und inhaltlich so am Boden, wie es von außen scheint – oder es braut sich etwas zusammen.
In Wien zum Beispiel. Wien ist anders. Bürgermeister Michael Häupl hat sich – auch im Vorfeld der Gemeinderatswahl vergangenen Herbst – nicht auf einen Wettbewerb der Grauslichkeiten eingelassen. Nicht zuletzt das hat der SPÖ noch einmal Platz 1 gerettet. Weil es eben nicht so ist, dass Haltung in der Politik nicht mehr belohnt würde.
Warum ist Bures die Partei um so viel näher als ihr jetziges Amt?
Dennoch hat sich Faymann Wien nicht zum Vorbild genommen. Vielmehr sollte Nationalratspräsidentin Doris Bures die Wiener Genossinnen und Genossen auf Bundeskurs bringen – vorerst ohne Erfolg. Der von ihr eingebrachte Antrag, der Wiener Flüchtlingspolitik das Grundsätzliche zu nehmen und mehr Härte zu verpassen, fand keine Mehrheit. Auf dem Landesparteitag am kommenden Wochenende muss sich zeigen, ob die Wiener SPÖ Kurs hält. Tut sie es, ist das eine klare Absage an Faymanns Beliebigkeit.
Doch was treibt Bures an? Warum nabelt sie sich nicht von Faymann ab, trägt sie für ihn einen innerparteilichen Konflikt aus, anstatt sich als überparteiliche Parlamentspräsidentin zu profilieren? Warum ist ihr die Partei um so viel näher als ihr jetziges Amt?
Entweder kann Bures nicht anders, agiert sie loyal bis hin zu bedingungsloser Selbstaufgabe und totaler Unterwürfigkeit. Tatsache ist, dass sie zu den Faymann-Vertrauten zählt und dass dieser Kreis sehr eng geworden ist. Womöglich folgen sie alle der unentrinnbaren Logik des gemeinsamen Untergangs.
Flüchtlingspolitik als Aufmarschgebiet: Anhand ihr werden die Lager in Stellung gebracht und die Fronten abgesteckt.
Oder aber Bures versucht dem zu entfliehen. Auch sie kann nicht ganz übersehen, dass mit dem Werner nichts mehr zu gewinnen sein wird. Es ist schon ein besonderes Kunststück, in den Sympathie- und Kompetenzwerten von einem Heinz-Christian Strache übertroffen zu werden. Tiefer kann ein amtierender Kanzler eigentlich nicht fallen. Aber auch, dass eine SPÖ unter neuer Führung bei der nächsten Wahl wieder zur stärksten Partei wird, ist aus heutiger Sicht alles andere als gewiss.
Bures weiß also, dass ihr Amt so oder so ein Ablaufdatum hat: 2018, vielleicht früher. Bleibt nur der Notausgang nach Wien, ihrer politischen Heimat. Der Abgang des Bürgermeisters steht unweigerlich an, die Nachfolgefrage ist offen, die Partei tief gespalten, ein innerparteilicher Machtkampf seit langem im Gange. Der Versuch, die Häupl’sche Flüchtlingspolitik entscheidend zu korrigieren, könnte durchaus Signal sein, das Kommando in der Wiener SPÖ übernehmen zu wollen. Auch in dieser gibt es die Sehnsucht nach einer restriktiveren Linie, vor allem in den großen Flächenbezirken und verkörpert etwa durch Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. Das Format zum Bürgermeister wird ihm freilich ebenso wenig attestiert wie den anderen Kandidaten, die in gegenseitiger Blockade verharren. Bures könnte die Alternative sein.
Flüchtlingspolitik als Aufmarschgebiet: Anhand ihr werden die Lager in Stellung gebracht und die Fronten abgesteckt. Wie im Bund geht es nicht vorrangig um die Menschen. Sie sind Mittel zum Zweck, dienen nur der Profilierung.
*) Der Libero ist ein politisch denkender, von Parteien und Interessenvertretungen unabhängiger Bürger.