ANALYSE. Im äußersten Westen hat die bestimmende ÖVP verlernt, Politik zu machen und sich so in große Not gebracht.
Es ist wie ein Tsunami am Bodensee: Kaum sind Pläne bekannt geworden, dass die schwarz-blaue Landesregierung im Krankenhaus der 52.000-Einwohner-Stadt Dornbirn die Geburtenstation auflösen könnte, hat eine Ärztin eine Petition dagegen gestartet, die nach zwei Tagen schon von über 52.000 Leuten unterstützt worden ist. Klar: Online, wo das leichter geht. Ein so großer Zuspruch ist aber auch hier alles andere als gewöhnlich.
Es steckt also mehr dahinter. Und zwar unter anderem dies: Seit geraumer Zeit schafft es die ÖVP als bestimmende Kraft im äußersten Westen nicht mehr, zu liefern, wofür sie einst stehen wollte und zum Teil auch gestanden ist. Für die Ermöglichung von Eigentum, für Sparsamkeit und für Bürgernähe beispielsweise.
Wohnen in Miete war in Vorarlberg einst Ausnahme. Heute ist es auf dem Weg zur Regel. Nicht weil immer mehr Leute kein Eigenheim mehr wollen, sondern weil sie es sich schlicht und ergreifend nicht leisten können. Unter einer Million geht zunehmend wenig bis nichts. Damit brechen bürgerliche Welten zusammen. Wirkt das Gerede von „Leistung muss sich lohnen“ geradezu provokant: Wofür denn, verdammt noch einmal?
Interessant ist, dass die ÖVP so gar nicht darauf reagiert. Landeshauptmann Markus Wallner und Co. lassen das einfach laufen. Wie sie auch das Landesbudget aus dem Ruder laufen lassen haben. Sie, denen einst nachgesagt worden ist, haushalten zu können.
Da könnte man sich allmählich fragen, wofür die Volkspartei denn überhaupt noch stehe. Bürgernähe ist es eben auch nicht mehr: Es ist, als habe sich mit Corona auch ein Virus ausgebreitet, das dazu führt, dass Politikerinnen und Politiker lieber in ihren Büros bleiben und allenfalls Pressekonferenzen geben, als zu den Leuten rauszugehen, geschweige denn Bürgerversammlungen durchzuführen.
Im Amt der Vorarlberger Landesregierung hat es sogar einmal ein eigenes Zukunftsbüro gegeben, das sich der Bürgerbeteiligung gewidmet hat. In einer Beschreibung, die aus dem Jahr 2012 übrig geblieben ist, heißt es: „Es versteht sich als Impulsgeber und Schnittstelle für zukunftsfähige Entwicklungsprozesse, z.B. durch die Förderung von Bürgerbeteiligungsprozessen, von innovativen Ansätzen für eine Nachhaltige Entwicklung, von Initiativen zur Stärkung des Sozialkapitals. Zu diesem Zweck unterstützt das Büro mit seinen 11 MitarbeiterInnen engagierte Menschen dabei, innovative Lösungen für aktuelle gesellschaftspolitische Herausforderungen erfolgreich umzusetzen.“
Wie auch immer: Heuer ist das Nachfolgebüro aufgelöst worden. Weil man mit Bürgerbeteiligung nichts mehr am Hut hat. Das rächt sich: Die Protestwelle gegen die Schließung der Krankenhausabteilung in Dornbirn hat nicht nur mit der Sache zu tun, es ist auch eine Antwort auf politisches wie kommunikatives Totalversagen.
Die schwarz-blaue Landesregierung agiert fern von den Leuten über die Leute hinweg. Sie will nicht zugeben, wie übel die budgetäre Lage ist und nimmt frei nach der Salamitaktik eine Sparmaßnahme nach der anderen vor; im Sozialbereich sogar mehrere binnen weniger Monate. Sie kommt nicht auf die Idee, alles auf den Tisch zu legen und zum Beispiel eine offene Auseinandersetzung über das Gesundheitswesen im Allgemeinen und Spitäler im Besonderen durchzuführen. Also den Bürgern auch nur das Gefühl zu geben, dass sie zumindest Beteiligte seien. Stattdessen schafft sie zur Empörung vieler Menschen und zur Frustration von unmittelbar Betroffenen unter ihnen einfach Tatsachen. Als wollte sie es darauf anlegen, Massen gegen sich aufzubringen – mit Aussicht auf „Erfolg“, wie man jetzt sieht.