Tirol: Gesteuerte, heillos überforderte Politik

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ANALYSE. Die Tourismuswirtschaft hat das Sagen. Selbst wenn es um die Volksgesundheit geht. Die Antwort darauf kann nur sein, gewisse Zuständigkeiten dem Bund zu übertragen.

Franz Hörl verkörpert zumindest eine Seite von Tirol ganz gut: Wenn er auftrete, sei Tempo angesagt, heißt es auf seiner Website, die jedoch nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist. Zunächst steht da noch immer der Appell, am 29. September (2019), Sebastian Kurz zu wählen. Doch zurück zu Hörl: Er präsentiert sich als „Wirt, Bauer, Politiker und Jäger in einem“. Und das ist noch nicht einmal alles: Der 63-Jährige bezeichnet sich selbst auch als „Seilbahnpionier“ und untertreibt damit nicht einmal: 1979 habe er als einer der Geschäftsführer die Gerloser Bahn übernommen und gemeinsam mit Zell zur Zillertal Arena ausgebaut. Klingelt’s? Das ist heute eigenen Angaben zufolge das größte Skigebiet des Zillertals – mit „143 Pistenkilometern und 53 modernsten Bahnen und Liften“.

Franz Hörl, ganz nebenbei auch Mitglied der türkisen Nationalratsfraktion, gehört alles in allem zu den mächtigsten Leuten Tirols. Vielleicht ist er es sogar: Es ist bezeichnend, dass er Landesobmann des Wirtschaftsbundes ist, der wiederum eine der Säulen der Volkspartei ist. Anders ausgedrückt: Landeshauptmann Günther Platter ist gewissermaßen auch „sein“ Parteichef.

„Der Standard“ hat berichtet, dass es zwischen den beiden einen sehr heftigen Konflikt über die vorzeitige Beendigung der Wintersaison 2019/2020 aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus gegeben hat. Hörl hätte die Lifte demnach noch gerne etwas länger laufen lassen. Doch Platter konnte nicht mehr: Es war schon fünf nach Zwölf, in Wien hatte die Bundesregierung schon angefangen, durchzugreifen.

Gehen wir an dieser Stelle noch ein paar Tage weiter zurück: Hörl hat in einer SMS deutlich gemacht, wie er das Corona-Problem im fast schon weltberühmten Ischgler Kitzloch gelöst hätte: Er hätte die Hütte vorübergehend zugesperrt; und zwar in der Annahme, dass dann bald Gras über Sache gewachsen wäre. Wobei das umso bemerkenswerter ist, als selbst das weit entfernte Island zu diesem Zeitpunkt schon eine erhöhte Ansteckungsgefahr in diesem „Mallorca der Alpen“ geortet hatte.

Hörl war damit nicht allein. Sein Zugang entsprach dem amtlichen, der laut Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg korrekt gewesen sein soll: Nachdem ein Barkeeper infiziert worden war, teilte die Landessanitätsdirektion mit, dass eine Übertragung des Virus auf Gäste der Bar „aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“ sei. Das war am 8. März wohlgemerkt, als der eine oder andere Zeitungsleser schon wusste, wie gefährlich COVID-19 sein könnte. Nur damit hier kein Missverständnis entsteht.

Franz Hörl verkörpert wie gesagt Tirol ganz gut: Es ist ein Land, das mit 27 Millionen Übernachtungen allein in einer (gewöhnlichen) Wintersaison zu einem entscheidenden Teil vom Tourismus lebt: Hoteliers und Liftbetreiber schaffen eine Infrastruktur, die Gäste ins Land bringt und die Gäste garantieren wiederum Jobs. Wie sehr letzteres der Fall ist, lässt sich daran erkennen, dass der Bezirk Landeck (Ischgl, St. Anton, …) in der Saison de facto keine und außerhalb der Saison ganze 16 Prozent Arbeitslosigkeit hat; das ist dann mehr als so manch eine Krisenregion.

Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, wer in Tirol das Sagen hat: Leute wie Hörl eben. Und vor diesem Hintergrund wird auch klar, dass ein überfälliger Rücktritt überforderter wie ohnmächtiger Landespolitiker nach der Coronakrise das Problem nicht lösen würde; hier sind Landespolitiker eher auf verlorenem Posten. Das ist wie bei einem Bürgermeister eines Dorfes, auf dessen Gebiet eine Riesenfirma tätig ist, die viele Jobs und massiv Geld bringt; da sind die Machtverhältnisse auch klar.

Es geht hier darum: Es gibt Dinge, die sind zu groß für die Länder. Im Falle Kärntens hat man vor einigen Jahren gesehen, dass es nicht gut ausgehen kann, wenn sich ein Land eine expanisionswütige, milliardenschwere Bank hält. Das hätte das Land beinahe ruiniert. Bei Tirol sieht man heute, dass sich die Landespolitik nicht gegenüber der Tourismuswirtschaft behaupten kann; ja, sie schafft es nicht einmal dann, wenn die Volksgesundheit auf dem Spiel steht. Die Antwort darauf kann nur sein, so etwas der Bundespolitik zu übertragen; sie kann Leute wie Hörl nicht zwingend, aber eher kontrollieren.

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