ANALYSE. Bei der Abschaffung steigen sie auf die Barrikaden. Dabei haben sie dieser zugestimmt. Und zwar im Wissen, was sie damit riskieren.
„Da brodelt es gewaltig“, wird der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer in zahlreichen Medien zitiert: Der ÖVP-Politiker versuchte den Berichten zufolge so auf einem Hintergrundgespräch in Wien die Stimmung bezüglich Abschaffung des Pflegeregresses draußen in den Ländern zu umschreiben. Botschaft 1: Der Bund hat das beschlossen. Botschaft 2: Die Finanzierung ist offen. Botschaft 3: Das Volumen ist viel größer als ursprünglich angekündigt. Und Botschaft 4: Die Länder, die die Kosten tragen müssen, werden bei der ganzen Sache überfordert.
Dabei muss man sich wundern: Entweder ist die Empörung gespielt; oder die Länder haben ein anderes Problem. Fakt ist jedenfalls: Die Abschaffung des Pflegeregresses wurde nicht „vom Bund“ allein beschossen. Auch die Ländervertreter im Bundesrat haben dem am 6. Juli ausdrücklich zugestimmt. Und zwar auch jene aus den Reihen der ÖVP, vom Boden- über den Atter- bis zum Neusiedlersee.
„Es ist gut, dass wir diesen Pflegeregress abschaffen.“ (ÖVP-Bundesrat)
In der Debatte meldete sich für die Fraktion der Niederösterreicher Martin Preineder (ÖVP) an jenem Frühsommertag um 16.14 Uhr zu Wort: „Es ist gut, dass wir diesen Pflegeregress abschaffen“, sagte er laut dem stenographischen Protokoll, „weil es dadurch eine Gleichstellung gibt, eine Gleichstellung, durch die es egal ist, ob jemand Eigentum in seinem Leben geschaffen hat, ob jemand Kinder oder eine Familie hat – oder eben nicht. Darum werden wir das auch entsprechend unterstützen.“
Immerhin merkte Preineder an, dass man „gerne eingehender“ über die Finanzierung gesprochen hätte. Von einer Zustmmung ließen sich er und seine Parteikollegen dewegen jedoch nicht abhalten. Kein Wunder, mag man einwenden: Es war ja schon Nationalrats-Wahlkampf. Und die Abschaffung wurde sehr wahrscheinlich mit ÖVP-Zustimmung auch schnell duchgezogen, um der SPÖ ein möglicherweise sehr starkes Wahlkampfthema zu nehmen. Christian Kern (SPÖ) „fehlte“ dieser Trumpf dann ja auch wirklich in der weiteren Auseinandersetzung mit Sebastian Kurz (ÖVP).
Schon damals war klar, dass die Kosten für die Länder weit über die 100 Millionen Euro hinausgehen dürften.
Wie auch immer: Die Zustimmung durch die Länderkammer des Parlaments war auch insofern bemerkenswert, als schon damals klar war, dass die Kosten für die Länder weit über die 100 Millionen Euro hinausgehen dürften, von denen immer die Rede war und über die sich Stelzer nun verwundert zeigt: Schon am 1. Juli, also gut eine Woche vor der Befassung damit durch den Bundesrat, vermeldete die Tageszeitung „Der Standard“ beispielsweise, die Sache werde allein Vorarlberg „60 Millionen Euro“ kosten. Was schon über eine einfache Schlussrechnung eine Ahnung hätte liefern müssen: Setzt man für Vorarlberg ein Zwanzigstel an, kommt man auf Gesamtkosten für die Länder, die über einer Milliarde Euro liegen.
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