Nürnberger-Moment

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ANALYSE. Budgetsanierung: Landeshauptleute sollen in die Regierungsverhandlungen einbezogen werden, fordert Neos. Da wird’s kritisch für die ÖVP, aber auch die SPÖ. Andererseits spricht Entscheidendes dafür.

Vieles ist anders, ein bisschen erinnert das Ganze jedoch an das Ende der rot-schwarzen Regierungsverhandlungen im Jänner 2000: Die ÖVP hatte darauf bestanden, dass der sozialdemokratische Gewerkschafter Rudolf Nürnberger das, was vorlag, unterschreibt. Nürnberger weigerte sich, die ÖVP beendete die Verhandlungen, setzte sich mit Freiheitlichen zusammen und verständigte sich mit diesen ruck-zuck auf Schwarz-Blau I.

Für Neos gibt es keine vergleichbare Option, die Partei will jetzt aber Landeshauptleute in die Regierungsverhandlungen einbeziehen. Bei ÖVP und SPÖ halte sich die Freude darüber in Grenzen, heißt es. Im Ö1-Mittagsjournal zeigte sich auch ein Moderator verwundert über die Pinken: Ihr Gründer Matthias Strolz habe die Leute einst doch als „Fürsten der Finsternis“ abgetan.

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Andererseits ist es jedoch so: Für die Budgetsanierung sind die Landeshauptleute relevanter denn je; und gegen sie geht realpolitisch weniger denn je. Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Michael Ludwig (SPÖ) und Co. müssen aus mehreren Gründen dabei sein: Die budgetären Verhältnisse der Länder und ihrer Gemeinden bilden nach wie vor eine Blackbox. Es gibt keine belastbaren, aktuellen Informationen. Folgt man zum Beispiel den Links des Finanzministeriums zu den Voranschlägen für das kommende Jahr, landet man in Vorarlberg bei einer Presseaussendung und in Wien bei Annahmen aus dem vergangenen Jahr. Beides ist wertlos.

Es ist Ausdruck von Macht: In den Ländern ist man es gewohnt, es sich zu richten. Und dem Bund alle paar Jahre auszurichten, dass er bedarfsgerecht mehr zu überweisen habe. Oder dass er sich hüten solle, Kürzungen vorzunehmen.

Das Ganze ist jetzt umso schlimmer, als ÖVP und SPÖ von Vorsitzenden geführt werden, die gegenüber ihren Landeshauptleuten keine besonders starke Position haben. Karl Nehammer muss sich insbesondere mit Mikl-Leitner, Andreas Babler mit Michael Ludwig arrangieren. Außerdem ist das gesamtstaatliche Defizit, das gedrückt werden muss, zu einem so großen Teil wie noch selten auf die Länder zurückzuführen. Gut ein Prozent gemessen am BIP dürften sie allein zusammenbringen im kommenden Jahr (der Bund gut drei).

Im Übrigen fordert der Fiskalrat, bei der Sanierung „festgefahrene Denkansätze“ aufzubrechen und flankierend Strukturreform vorzunehmen. Und zwar in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Pflege etwa. Dafür sind zum Teil die Länder zuständig.

Es sind also viele Gründe, Landeshauptleute bei den Regierungsverhandlungen einzubeziehen. Ohne sie geht’s nicht. Weder in der Sache noch politisch: Zumindest als ÖVP- und SPÖ-Funktionäre müssen sie das Ergebnis am Ende mittragen.

Bisher sind sie es gewöhnt, ihr Wünsche und Vorbehalte vertraulich im Hintergrund oder offen über Medien zum Beispiel zu deponieren. Sich an Unpopulärem von bundesweiter Tragweite jedoch beteiligen? Zuletzt vielleicht bei der Impfpflicht, die auf ihren Wunsch hin beschlossen wurde, von der sie sich jedoch umgehend distanzierten, als sie merken, wie das bei sehr vielen Leuten ankommt. Das sollte eigentlich eine Warnung sind: Landeshauptleute sind in die Pflicht zu nehmen.

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