ANALYSE. Auch in Wien werden die Neos in absehbarer Zeit kaum einer Regierung angehören. Ihr Ruf nach einem unabhängigen Bürgermeister ist vor diesem Hintergrund zwar schlau, aber unrealistisch.
Von den Wiener Grünen geistern zurzeit eher nur Namen wie Kraus und Ellensohn durch die Medien; die beiden gelten als aussichtsreichste Spitzenkandidaten für die nächste Gemeinderatswahl. Von den nur halb so großen Neos dagegen macht sich der wohl designierte Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr nicht nur namentlich bekannt, er macht vor allem auch inhaltlich von sich reden. Und zwar mit der Ankündigung, dass er sich nach der Wahl, die spätestens 2020 stattfinden wird, lieber für einen unabhängigen als einen sozialdemokratischen Bürgermeister einsetzen werde.
Für einen, der eine sechs Prozent-Partei vertritt, wirkt das forsch. Zumal diese Partei aus heutiger Sicht nicht so schnell in die Verlegenheit kommen wird, einer Regierung anzugehören. Weder auf Bundes- noch auf Wiener Gemeindeebene. Würde heute zu den Urnen gerufen werden, wären morgen da wie dort ÖVP, SPÖ und FPÖ entscheidend. Zwei der drei dürften eine Mehrheit zusammenbringen.
Und wenn es anders wäre: Die Wähler tendieren unter solchen Umständen zu den voraussichtlich mehrheitsentscheidenden Parteien. Das ist blöd für die übrigen, in diesem Fall Grüne, Neos und vielleicht Pilz. Außerdem: Die Neos hätten es in einem solchen Lagerwahlkampf extra-schwer: Würden sie sich in Richtung europafeindliche FPÖ deklarieren, die von Liberalisierungen, in welchen Bereichen auch immer, wenig bis nichts wissen möchte, würden sie riskieren, einen erheblichen Teil ihrer Anhängerschaft zu verlieren.
Die Ex-ÖVP-Wähler zu halten, wird bei dem ganzen Sebastian-Kurz-Hype für die Wiener Neos ohnehin schon eine Herausforderung.
Dasselbe würde für Signale in Richtung SPÖ gelten. Noch dazu in Wien, wo die Sozialdemokratie seit Menschengedenken am Ruder ist und vielen Bürgerlichen nichts lieber wäre, als ihre Ablöse. Wobei man davon ausgehen kann, dass dies auch für die Neos-Wähler gilt: Fast die Hälfte war bei der Gemeinderatswahl 2015 von der ÖVP zu den Pinken gewandert. Und sie zu halten, wird bei dem ganzen Sebastian-Kurz-Hype ohnehin schon eine Herausforderung.
Vor diesem Hintergrund macht es rein taktisch gesehen Sinn, sich als Hoffnungsträgerin all jener zu positionieren, die gerne einen parteifreien Bürgermeister hätten. Allein: Man darf nicht naiv sein. Zwei Parteien, die die Möglichkeit haben, den Regierungschef zu stellen, werden sich diese nur nehmen lassen, wenn sie gleich stark sind und sich daher gegenseitig neutralisieren. Siehe Italien: Fünf Sterne und Lega Nord haben den parteifreien Giuseppe Conte zum Ministerpräsidenten gemacht. Und wenn man kaum etwas von ihm hört, dann liegt das daran: Entscheidend sind andere, allen voran Lega-Nord-Recke Matteo Salvini als Innenminister. Conte ist eher nur Statthalter, der gute Miene zum bösen Spiel machen darf. Abgeordnete hat er keine hinter sich, über eine Hausmacht verfügt er schon gar nicht.
So ähnlich wäre das auch in Wien: Geht sich Türkis-Blau aus, gibt es einen türkisen oder blauen Bürgermeister. Das ist angesichts der Bundeskoalition naheliegend. Ist dagegen (oder daneben) einmal mehr eine Konstellation mit SPÖ möglich, wird diese einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Zu dem, sich das Bürgermeister-Amt abnehmen zu lassen, würde sie sich aber wohl nur als zweitstärkste Partei durchringen. Und wenn es doch zu einem unabhängigen Bürgermeister oder einer unabhängigen Bürgermeisterin kommen würde, wäre das ein Mann oder eine Frau, der oder die nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten hätte.
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