ANALYSE. Wie Wiens Bürgermeister im Hinblick auf die Gemeinderatswahl versucht, zu retten, was noch zu retten ist.
Angesichts der jüngsten Äußerungen des Wiener Bürgermeisters sehen manche seine Behauptung bestätigt, Wahlkampf sei die Zeit „fokussierter Unintelligenz“. Damit liegen sie jedoch falsch. Michael Häupl weiß, was er tut. Er setzt mit seinen Provokationen auf die letzte Strategie, die für ihn erfolgversprechend sein könnte. Was nicht heißt, dass sie vernünftig ist.
Die Ausgangslage im Hinblick auf die Gemeinderatswahl im Oktober ist für Häupl und die SPÖ, die er anführt, denkbar schlecht: Umfragen verheißen einen Absturz von 44 auf 37, 38 Prozent. Ein Angebot an die Wähler ist nicht in Sicht. Also müssen sie unterhalten werden. Worum sich Häupl seit geraumer Zeit erfolgreich bemüht. Mit seinen Verbalattacken ist er nicht nur der einzige Spitzenkandidat, der in der Öffentlichkeit wahrnehmbar ist; er polarisiert noch dazu, stärkt also nicht nur seine Gegner, sondern vor allem auch seine potenziellen Anhänger.
Wie jeder mehr oder weniger erfolgreiche Kommunalpolitiker putzt Häupl zunächst einmal die Bundespolitiker bei jeder sich bietenden Gelegenheit zusammen. Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) stößt sich daran, dass Wien alle Pensionsreformen nur zögerlich umsetzt? Darauf erwidert Häupl: „Wenn Herr Schelling in Wien Wahlkampf führen will, dann soll er hier kandidieren.“ Nachsatz: Die Pensionsfinanzierung in Wien gehe ihn „nichts“ an. Selbst Parteikollegen werden nicht geschont. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) kritisiert die hohen Werbeausgaben der Gemeinde? Darauf kontert Häupl: “Er macht, was er will, wir machen, was wir wollen.“ Nachsatz: “Weil davon versteht er was.”
Nüchtern betrachtet handelt es sich um eine Politik der verbrannten Erde, die der Wiener Bürgermeister da betreibt. Doch das ist ihm egal: Emotionen sind gut fürs Geschäft bzw. den Wahlausgang. Und Österreich ist ohnehin so gestrickt, dass Bundes- und Ländervertreter voneinander abhängen. Ob sie einander mögen oder nicht. Daher hat denn auch noch jeder Landeshauptmann damit gespielt, von Markus Wallner (ÖVP) in Vorarlberg bis Hans Niessl (SPÖ) im Burgenland. Die Botschaft gegenüber dem eigenen Publikum lautet: „Wie ihr seht, bin ich der Chef. Ich sage, was ich will, mir schafft keiner etwas an.“
Auf die Spitze getrieben hat Häupl das zuletzt mit seiner Aussage über Lehrer („Wenn ich 22 Stunden die Woche arbeite, bin ich Dienstagmittag fertig und kann heimgehen.”). Diesmal hat er eine Bevölkerungsgruppe attackiert, die sich nicht wehren kann bzw. in puncto Arbeitszeit argumentativ auf verlorenem Posten steht; da ist die öffentliche Meinung gegen sie – was Häupl schamlos ausnützt.