Weißmann muss liefern

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ANALYSE. Beim Auftritt von Hans Bürger in Bregenz geht es nicht (nur) um Hans Bürger, sondern um eine diffuse ORF-Politik zum Umgang mit Wissenschaft und damit letztlich auch Demokratie. Der Generaldirektor hat Klärungsbedarf.

Vor etwas mehr als einem Jahr, als Roland Weißmann auf Wunsch des damaligen Sebastian-Kurz-Medienzampanos Gerald Fleischmann zum Generaldirektor des ORF gewählt wurde, erklärte er, Weißmann, in einem „Standard“-Interview, dass der Sender mit Gebührenfinanzierung immer unter Beobachtung stehe und das „auch gut so“ sei. Dieser Hinweis wirkte entwaffnend für all jene, die quasi meinten, Weißmann sei nur dazu da, um türkise „Message Control“ im Öffentlich-Rechtlichen durchzusetzen.

Heute kann man feststellen, dass der ORF in den vergangenen Monaten weiterhin großen Journalismus lieferte. Das mit der „Message Control“ unter Weißmann wurde Lügen gestraft: Ausgerechnet Kurz ist im Herbst 2021 in der ZIB 2 beispielsweise hart, aber korrekt interviewt worden. Es hat dazu beigetragen, dass er Verantwortung übernehmen und gehen musste.

Das Ganze daran zu bemessen, wäre jedoch zu billig. Es geht um Subtileres. Erstens: Auch mit Gebührenfinanzierung muss sich der ORF, wie alle Medien, auf wirtschaftlich schwierigere Zeiten gefasst machen. Damit geht in Österreich eine besondere Gefahr einher: Die Abhängigkeit von öffentlicher Werbung könnte noch größer werden; und diese Abhängigkeit ist immer auch politisch aufgeladen. Beim ORF kommt hinzu, dass er bei nötigen Gebührenanpassungen (Inflation!) auf eine politische Bereitschaft dazu sogar angewiesen ist. Damit umzugehen, wäre für jeden Generaldirektor eine Herausforderung.

Zweitens: Roland Weißmann ist – wie ein paar Jahre lang auch sein Vorgänger Alexander Wrabetz – im ORF auch für Information zuständig. Das ergibt eine heikle Machtfülle. Allein die Möglichkeiten, die damit verbunden sind, zeigen, dass diese Funktionen getrennt gehören: Ein Informationsdirektor ist in Wirklichkeit ein natürlicher Gegenspieler des Generaldirektors, der nicht nur inhaltliche, sondern viel mehr zum Beispiel eben auch wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen hat (vgl. Punkt eins).

Drittens: Von Weißmann gibt es Bekenntnisse zur Sicherung der unabhängigen Berichterstattung, und Beweise sind, wie eingangs erwähnt, geleifert worden. Misstrauisch machen muss jedoch, dass er den ORF durch Hans Bürger an dem Journalistenkongress in Bregenz teilnehmen und mit dem Signal aufhorchen ließ, dass man in der Wissenschafts- bzw. Coronaberichterstattung Sympathie für „Servus TV“ im Allgemeinen und Ferdinand Wegscheider im Besonderen hegt. Dass man künftig also auch die – sagen wir – zehn, 20 Prozent der Menschen bedienen möchte, die Wert darauf legen, Leugnern und Verschwörungstheoretikern auf den Leim gehen zu dürfen.

Was Bürger gesagt hat, sollte man nicht allein mit seiner Person verbinden. Würde es ihn nicht geben, wäre ein anderer ORF-Repräsentant in Bregenz gewesen. Chefredakteur Matthias Schromm hat ausdrücklich bestätigt, dass er in seiner Vertretung an der Veranstaltung teilgenommen hat. Es handelte sich also um den Wunsch der Unternehmensführung, hier einen Brückenschlag vorzunehmen; Bürger hat das erledigt (laut Schromm war lediglich seine Wortwahl launisch und zugespitzt).

Jedes große Medium und erst recht der ORF, der einen Informationsauftrag für alle Menschen in Österreich hat, muss sich Gedanken darüber machen, wie er mit einem wachsenden Teil der Bevölkerung umgehen soll, der lieber alternativen „Fakten“ und vermeintlichen Wissenschaften folgt und diesen gerne auch mit einem absolutistischen Wahrheitsanspruch zum Durchbruch verhelfen möchte (was für sich genommen schon nicht nur nicht wissenschaftlich, sondern auch demokratiefeindlich ist). Gerade beim Öffentlich-Rechtlichen muss das aber transparent erfolgen, müssen gewisse Dinge außer Streit gestellt sein. Sonst schwingt da gerade unter einem Generaldirektor, der sehr vielen Zwängen ausgesetzt ist und der sehr viel Macht hat, etwas extrem Bedrohliches mit. Was dazu überleitet, dass er einen solchen Prozess als vertrauensbildende Maßnahme am besten gleich selbst in Gang setzen sollte.

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