Kein X mehr

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ANALYSE. Namhafte Journalistinnen und Journalisten haben X (Twitter) verlassen und sind (ganz) auf Bluesky übersiedelt. Gerade in Zeiten mit autoritären Tendenzen ist es wichtig, dass daraus etwas Großes wird.

„Im Februar 2009 hat meine Beziehung mit Twitter begonnen – knapp 16 Jahre und 126.725 Tweets später hört sie jetzt wieder auf“, schreibt Armin Wolf auf seinem Blog. Titel: Twitter, das bald nach der Übernahme durch den Unternehmer und heutigen Donald-Trump-Freund Elon Musk im Herbst 2022 in X umbenannt wurde, sei „leider kaputt“.

Es sei „von Irren geflutet“ worden, so Wolf: „Propaganda-Bots, Neonazis, Rassisten, Sexisten, Incels, Verschwörungsparanoiker, Fake News und Bullies ohne Ende.“ Aus der politisch relevantesten Social-Media-Plattform der Welt habe Musk „eine Propaganda-Bühne für sein Polit-Abenteuer als Donald Trumps best buddy und eine gigantische Hate-Speech-Schleuder gebaut“.

Mit Sonntag, 17. November, 18 Uhr haben sich nun Wolf, der hier immerhin mehr als 630.000 Follower hatte, und viele andere Journalistinnen und Journalisten (sowie weitere Personen) von X verabschiedet: Unter anderem etwa auch die Chefredakteure Gerold Riedmann (Standard) und Florian Klenk (Falter). In der Regel sind sie (quasi ganz) auf Bluesky übersiedelt, einer jüngeren und kleineren, seit der Trump-Wahl aber stark wachsenden Plattform.

Es ist nicht nur für sie wichtig, dass Bluesky das ersetzen kann, was Twitter vor allem ausgemacht hat: Es hat die Bildung neuer Öffentlichkeiten ermöglicht; es hat Auseinandersetzungen befeuert; einem Blog wie dieSubstanz.at hat es geholfen, sich zu entwickeln, ja es hat Journalismus besser gemacht.

Um es von hinten beginnend näher auszuführen: Twitter hat davon gelebt, dass hier eine qualifizierte Öffentlichkeit versammelt war. Für einen Journalisten hat das bedeutet, dass Inhalte einer ständigen Qualitätskontrolle unterworfen waren. Sachliche Fehler gingen nicht durch. Hinweise auf fehlende Fakten oder andere Sichtweisen folgten prompt. These: Bei allen Schwierigkeiten, denen Journalismus heute im Unterschied zu früher unterworfen ist, hat das zu einer großen Verbesserung im Sine der Leserinnen und Leser beigetragen.

Mit einem eigenen Blog kann jede Frau und jeder Mann beginnen. Größere Mittel sind dazu nicht nötig. Wesentlich ist es, Leserinnen und Leser zu erreichen. Für dieSubstanz.at war Twitter dazu ideal. Hier war „die Innenpolitik“ versammelt. Überdurchschnittlich viel gelesene Texte waren in der Vergangenheit meist solche, die auf Twitter vielfach geteilt und empfohlen wurden. Der eine Leser oder die andere Leserin hat in weiterer Folge den Newsletter abonniert, nicht wenige sind über diese Schiene zu Unterschüter:innen geworden.

Twitter hat innenpolitische Auseinandersetzungen befeuert: Weil Echtzeit, weil viele Beteiligte, weil schwer bis nicht kontrollierbar. Letzteres ist positiv gemeint: „Message Control“ war hier unmöglich.

Das leitet über zu neuen Öffentlichkeiten, die hier entstanden sind: Soziale Medien wie Twitter haben zu einer Demokratisierung des politischen Diskurses beigetragen. Es ist nicht mehr so, dass Politiker, Parteien und Medien (eher) allein die Bühne haben. Da können alle rauf.

In gewisser Weise hat Twitter auch unabhängigen Journalismus gestärkt. Das ist gerade beim ORF wichtig, der einen gesetzlichen Informationsauftrag zu erfüllen hat, aber politisch immer mehr oder weniger unter Druck steht: Ein Mitarbeiter wie Armin Wolf, der hier eben über 630.000 Follower hatte, ist auch insofern schwer zu biegen, als man immer auch seine sechshundertdreißigtausend Follower mit berücksichtigen muss(te).

Wird das auf Bluesky alles wieder ideal oder vielleicht sogar noch besser werden? Bluesky ist ungefähr wie Twitter vor Musk. Das ist schon einmal etwas. Im Übrigen muss die Chance, die sich allein aus der Existenz dieser Plattform ergibt, aus den erwähnten Gründen genützt werden. Gerade in Zeiten mit zunehmend autoritären Tendenzen.

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