ZAHLEN ZUM TAG. Öffentliche Inserate sind strukturelle Korruption. Medien tun sich selbst nichts Gutes, mitzuspielen.
Es entstehe der Verdacht, dass Wohlwollen erkauft werden solle, sagt der Medienwissenschaftler Andy Kaltenbrunner zu dem, was Ex-NEOS-Chef Matthias Strolz einmal als „strukturelle Korruption“ bezeichnet hat. Die Rede ist von öffentlichen Inseraten. Im Zusammenhang mit den Verdachtsmomenten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vertraute ist das wieder einmal, diesmal jedoch sehr konkret, zum Thema geworden.
Das Problem ist ein grundsätzliches: In gewöhnlichen Jahren erhalten Tageszeitungen eine Presseförderung, die insgesamt keine neun Millionen Euro ausmacht. Die Aufteilung der Mittel basiert auf nachvollziehbaren Kriterien, bei denen es nicht zuletzt auch um Qualität und Vielfalt, gewissermaßen als Demokratie geht.
Viel, viel mehr Geld wird von staatlichen Stellen jedoch mehr oder weniger willkürlich vergeben. Allein im ersten Halbjahr 2021 machte das offiziell bekannte Volumen rund 100 Millionen Euro aus, wovon knapp 40 Millionen auf Tageszeitungen entfielen. An der Spitze steht die Kronen Zeitung mit zehn Millionen Euro, gefolgt von den Gratisblälttern „Heute“ (6,4) und „Österreich – oe24“ mit 4,1 Millionen Euro.
Größte Inserenten waren im ersten Halbjahr das Bundeskanzleramt (14,5 Millionen Euro), gefolgt von der Stadt Wien (12,5) und dem Finanzministerium (4,3 Millionen Euro), wie der Seite „medien-transparenz.at“ zu entnehmen ist, die Angaben der öffentlichen Medientransparenz-Datenbank so auswertet, dass sie für eine Allgemeinheit auch zugänglich sind.
Alles in allem sind öffentliche Mittel für österreichische Zeitungsverlage systemrelevant. Wie Kaltenbrunner in der Unterschuchung „Scheinbar transparent II“ vor dem Sommer ausgeführt hat, machen Inserate und Förderungen fünf bis zehn Prozent der Umsätze aus. Durchschnittlich. Zitat: „Für die Verlage mit Gratisblättern (Mediengruppe Österreich/oe24 und AHVV/Heute) machten die Erlöse aus öffentlichen Inseraten und Förderungen 2020 zwischen 20 % und 40 % ihres Umsatzes aus. Für letztere bedeutet dies ein besonders hohes Maß an Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln, besonders auch von Inseraten von Regierungsstellen in Bund und Ländern.“
These: In einem demokratiepolitisch sauberen System würde es nicht einmal den Anschein solcher Abhängigkeitsverhältnisse geben. Würden sich Regierungsstellen hüten, es zu praktizieren, aber auch Medien, es in Anspruch zu nehmen. Es mag ihnen Geld bringen, schwächt jedoch ihre Glaubwürdigkeit.
Immerhin gibt es Verlage, die das Problem aufzeigen. Die Studie von Kaltenbrunner wurde von Moser Holding (TT), Russmedia (VN), Salzburger Nachrichten, Der Standard, Styria (Kleine Zeitung, Die Presse) und Wimmer Medien (OÖ Nachrichten).
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