Verluderte Sprache

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ANALYSE. Das Virus kommt aus dem Ausland, in Tirol gibt es ein „Somalia-Cluster“ und kaum jemand stößt sich daran. Dabei handelt es sich um ein ernsthaftes Problem.

Es ist nicht so, dass sich die Menschheit nicht weiterentwickeln würde. Im Gegenteil: Gerade auch im Zusammenhang mit dieser Pandemie werden Fortschritte deutlich. Nicht zuletzt die WHO hat sich im Winter darum bemüht, schnell eine Bezeichnung durchzusetzen, die keine Ortsangabe enthält. Grund: Die Gefahr, dass auf die „Spanische“ vor 100 Jahren nun eine „Chinesische Grippe“ folgen könnte, war groß. Und damit wäre es möglicherweise auch zu einer Stigmatisierung gekommen. Motto: Das lebensbedrohliche Virus stammt aus China, die Chinesen sind schuld! COVID-19 baut dem vor.

In Teilen Österreichs ist das Bewusstsein dafür ganz offensichtlich unterentwickelt. Auch in der Tiroler Landesregierung. Was bemerkenswert ist: „Ischgl“ ist unter anderem in Deutschland zu einem Synonym für Corona geworden. Das ist keine Werbung für den Ort. Im Gegenteil. Vor allem aber kann es für einen Ischgler sehr unangenehm werden, in Deutschland als solcher erkannt zu werden. Bei wem werden nicht Gedanken wie dieser mitschwingen: „Hallo, das ist einer von denen, die diese Super-Spreading-Events namens Après-Ski veranstaltet haben, die letztlich so vielen von uns zum Verhängnis geworden sind!“ Gut möglich, dass dieser Ischgler gar nichts damit zu tun hat und den lärmenden Massentourismus selbst verachtet. Umso schlimmer!

Wie gesagt: Dem Land Tirol hätte das eine Lehre sein können. Ist es aber nicht. Auch Innsbruck ist seit Tagen mit mehr Neuinfektionen konfrontiert. Das schwarz-grün regierte Land berichtet in diesem Zusammenhang in Aussendungen von einem „Somalia-Cluster“. Und zwar mit einer solchen Beharrlichkeit, dass der Eindruck entsteht, dass das neben den Reiserückkehrern aus Kroatien das ganze Problem ist. Im Sinne der Aussage von Bundeskanzler Sebastian Kurz, wonach das Virus ausschließlich mit dem Auto aus dem Ausland kommt. Soll heißen: Österreicher im Allgemeinen und Tiroler im Besonderen infizieren sich in ihrer Heimat nicht. Was natürlich absurd, aber beabsichtigte Message ist.

Das Übel kommt von Anderen, aus der Fremde. Wobei die Steigerung ist, dass es durchaus auch einer bestimmten Personengruppe zugeschrieben wird, die im Inland lebt. Wie eben Somali. Und zwar ganz pauschal: Man möchte nicht in der Haut eines Somali stecken, der in Innsbruck lebt und exakt gar nichts mit diesem Cluster zu tun hat. Die Bezeichnung des Landes führt dazu, dass er automatisch damit in Verbindung gebracht wird und womöglich eher mit größerer Distanziertheit behandelt wird; wenn er nicht gar mit Aggressionen konfrontiert wird, weil das Virus ja (gefühlt) erst durch dieses Cluster wieder ins ohnehin schon geprüfte Land Tirol zurückgekehrt ist.

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