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ANALYSE. Die Bevölkerung glaubt kaum noch daran, was die Regierung tut. Jetzt wäre das jedoch notwendiger denn je.

Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) sieht die Stimmung in der Bevölkerung kippen – und hat damit sogar recht. Gemeint ist das von Platter in der Hinsicht, dass das Verständnis für Beschränkungen schwindet. Das ist messbar. Die Uni Wien hat im Rahmen ihres „Austrian Corona Panel“-Projekts rund 1500 Menschen in Österreich befragt; nicht einmal, sondern immer wieder.

Am 4. April des vergangenen Jahres, also mitten im ersten Lockdown, fanden 71,9 Prozent, dass die Maßnahmen der Bundesregierung angemessen seien. Aktuell ist es mit 35,7 Prozent nur noch ein Drittel. Zugenommen hat nicht nur der Anteil derer, die meinen, dass die Maßnahmen eher oder überhaupt nicht ausreichend sind (von 11,4 auf 28,2 Prozent), sondern auch der Anteil derer, denen sie eher zu stark oder zu extrem sind (von 16,7 auf 36,1 Prozent). Letztere bilden damit schon die größte Gruppe.

Was ist passiert? Im ersten Lockdown haben Entwicklungen und Maßnahmen zusammengepasst: Die Infektionszahlen sind explodiert, im Fernsehen waren Bilder aus Bergamo zu sehen. Die Bereitschaft zu Beschränkungen war enorm. Ein Verhängnis hat aber schon damals seinen Lauf genommen: Angstmache und der weitere Verlauf der Pandemie haben überhaupt nicht zusammengepasst. Allein: Weil besonders türkise Politik Fehler weder eingestehen kann noch will, sind zumindest hinterher auch Erklärungen dazu ausgeblieben. Sie hätten den Glaubwürdigkeitsverlust vielleicht beschränken können.

Phase zwei dieses Glaubwürdigkeitsverlusts begann im Herbst mit Lockdowns-und-irgendwie-halt-doch-nicht-Lockdowns. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) hat ausgerechnet am Höhepunkt der zweiten Welle in einem Spiegel-Interview für Skivergnügen im Winter geworben. Hotels sind zwar zugeblieben, Lifte sind jedoch in Betrieb genommen worden. Ein Ergebnis hat man gerade in St. Anton festgestellt, wo es Freaks aus aller Welt geschafft haben, Party zu machen bzw. zu ihrem Vergnügen zu kommen. Köstingers Antwort: Sie appelliert an die Vernunft.

Die dritte Phase des Glaubwürdigkeitsverlusts läuft gerade. Sie ist am schwersten zu verhindern, aber auch am verhängnisvollsten. Das Infektionsgeschehen hat nachgelassen, die Zahl der Intensivpatienten hat sich seit Ende November von 709 auf 320 (26. Jänner) mehr als halbiert, Beschränkungen gibt es noch immer, sie werden jedoch zunehmend als lästig empfunden und auch immer weniger eingehalten.

Die Regierung steht sich in dieser Situation dreifach im Weg. Zunächst einmal technisch: Sie hat immer vermittelt und dann auch gesetzlich verankert, dass entscheidend für Maßnahmen die Auslastung der Intensivkapazitäten ist. Das wird ihr nun zum Verhängnis: Von daher müsste sie Beschränkungen zumindest halbieren.

Ob das jedoch vernünftig wäre? Expertinnen und Experten weisen darauf hin, dass aufgrund von Mutationen eine weitere Infektionswelle bevorstehen dürfte; und dass sie bei dem hohen Niveau, das noch immer besteht, besonders bedrohlich wäre.

Die Regierung wird dem nur in Ansätzen gerecht: Sie hat Beschränkungen wieder nur mit einem Datum begrenzt und nicht mit einem Inzidenz-Wert von zum Beispiel unter 50 über mehrere Tage hinweg. Sie provoziert damit wieder Enttäuschungen für eine ohnehin schon frustrierte Masse.

Immerhin lässt sie mehr Virologen und Mathematiker zu Wort kommen, um sich zu erklären. Sie steht jedoch bei einem Problem an, das etwa auch Deutschland zu schaffen macht: Sie sollte von der Reaktion zur Prävention wechseln; sie sollte nicht mehr Maßnahmen setzen aufgrund von Entwicklungen, die bereits sichtbar sind; sondern vorsorglich Maßnahmen im Hinblick auf erwartete Entwicklungen.

Wobei eben das Schlimme ist, dass jeder Irrtum fatal ist. Stichwort „exponentielles Wachstum“: Es ist schwer zu verstehen und noch schwerer zu sehen. Ja, wenn man es einmal bemerkt, dann ist es zu spät. Als beim letzten Mal, bei damals steigender Tendenz, 320 CoV-Patienten intensivmedizinisch behandelt werden mussten (Anfang November), waren es zwei Wochen später doppelt so viele.

Günther Platter sagt übrigens, dass Skigebiete offenbleiben müssen. Aus Prinzip. Er sehe nicht ein, dass die Tirolerinnen und Tiroler eingesperrt werden sollen, nur wegen einiger Zurufer, schreibt ORF.AT. Ganz ehrlich: Wenn das so ist, ist zum Beispiel Wienerinnen und Wienern schwer zu erklären, warum sie nicht diversen Vergnügen nachgehen sollten, die eben ihren Vorlieben und auch Möglichkeiten entsprechen (Berge haben sie ja keine). Soll heißen: Platter sieht die Stimmung nicht zur kippen, er trägt auch aktiv dazu bei.

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