ANALYSE. Bundeskanzler Nehammer kontrolliert die Coronapolitik innerhalb der Regierung. Der Gesundheitsminister ist nicht nur ohnmächtig, sondern außer Stande, zu folgen.
Es war ein Tiefpunkt für Wolfgang Mückstein (Grüne) als Gesundheitsminister: Nicht nur, dass er im Ö1-Journal zu Gast vom vergangenen Samstag die meisten Fragen allenfalls nur ausweichend beantwortete, in dem einen Fall, in dem er präzise war, musste er sich selbst wenig später korrigieren. Zunächst hatte er berichtet, dass mit der Impfpflicht insofern Ernst gemacht werden soll, als ab März kontrolliert und allenfalls auch gestraft wird. Schließlich widersprach er jedoch, dass das von der vierköpfigen Expertenkommission abhängt, die bis 8. März eine Empfehlung abgeben soll.
War ihm dies beim Ö1-Interview nicht bewusst? Sagen wir so: Mückstein ist seit bald einem Jahr in der Politik, ebendort aber nie angekommen. Er weiß nicht, wie ihm geschieht, ist ständig Getriebener – einer unberechenbaren Pandemie, vor allem aber der Machtverhältnisse und eines Koalitionspartners, der Dinge so vorantreibt, wie es ihm gefällt – um populär zu wirken, einer MFG Wind aus den Segeln zu nehmen etc.
In gewöhnlichen Zeiten ist die Ausgangslage für einen Gesundheitsminister hoffnungslos. Das System liegt vor allem in den Händen der Länder (Spitäler) und der Krankenversicherungen (niedergelassener Bereich). Der Minister kann nicht viel bewegen. In der Pandemie wäre das anders, wäre er laut Gesetz der Chef. Allein: Einerseits fehlen etwa Daten aus den Ländern, sodass er nie genau weiß, wie die Lage wirklich ist. Andererseits versucht er als Mitglied der Bundesregierung nur ein einziges Mal, einem Hauptmann eines größeren Landes etwas anzuschaffen. Es wird sein letztes Mal gewesen sein.
Mücksteins Vorgänger Rudolf Anschober hat in einem Streit Anfang 2021 auch vor diesem Hintergrund klein beigegeben gegenüber dem Tiroler Günther Platter (ÖVP). Über seine Abgeordneten hätte dieser im Falle des Falles die Koalitionsmehrheit auf Bundesebene gefährden können; in einer denkwürdigen Aussendung hatten sie damit sogar schon offen gedroht.
Ein Gesundheitsminister könnte allenfalls Politik über die Bande machen. Dazu müsste er jedoch ein herausragender Kommunikator sein, der weiß, was er wie sagen muss, um die öffentliche Meinung auf eine Seite zu bringen. Mückstein kann das nicht. Überhaupt nicht. Im vergangenen Jahr zählte er zu den ersten, die eine Impfpflicht ankündigten. Zwischen Tür und Angel war das, sie hätte sich auf das Gesundheitspersonal beschränken sollen. Bei den Betroffenen war die Empörung riesig, mögliche Verbündete waren damit verloren. Es geriet in Vergessenheit, weil kurz darauf eine generelle Impfpflicht angekündigt wurde, aber nicht durch Mückstein, sondern auf Geheiß der Landeshauptleute.
Chef der Coronapolitik ist heute Bundeskanzler Karl Nehammer. Er hat das geschickter als Sebastian Kurz eingefädelt. Und zwar durch die Gecko-Kommission, die in seinem Haus angesiedelt ist. Und mehr noch durch die Impfpflichtkommission, die er zusammengestellt hat. Beide sollen vorgeben, was zu tun ist. Damit ist Mückstein zu einem Staatssekretär degradiert worden, der peinlich bemüht ist, sich nicht anmerken zu lassen, dass er nichts mehr zu melden hat – und dabei so schlechte Figur macht wie im Ö1-Interview.
Sein Problem ist folgendes: Nehammer sagt zwar nicht, dass die Pandemie zu Ende sei, er sieht sie aber kaum noch als gesundheitliche Krise. Er wird dem Wirtschaftsflügel in seiner ÖVP gerecht, der zurück zu einer Normalität ohne Beschränkungen, Massentests etc. drängt. Und er will alles tun, damit die MFG-Partei mit ihrem Protest gegen die Impfpflicht ins Leere läuft. Sprich: Sie muss ausgesetzt werden. Sonst wird’s gefährlich für die Schwarz-Türkisen bei der niederösterreichischen Landtagswahl in spätestens einem Jahr. Mücksteins Drama ist, dass er alle Entscheidungen, die daraus resultieren, als die seinen ausgeben möchte – aber in Wirklichkeit eben nur noch Operationsassistent ist.
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