ANALYSE. Der Kanzler hat gemeint, besser zu wissen, wie man eine Pandemie bekämpft. Die Folge: Experten wenden sich ab. Das Ergebnis: Chaos.
Zum Glück haben wir eine Verfassung, die laut Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht nur schön, sondern auch elegant ist und die eine entscheidende Grundlage dafür schafft, dass der Staat eigentlich immer funktioniert. Daran muss man denken, wenn Meldungen wie diese fast schon minütlich daherkommen: Mitarbeiter des Kanzlers infiziert, Regierungsmitglieder sagen sämtliche Termine ab und lassen sich ebenfalls testen (Ergebnisse fast durchwegs negativ), der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer in Quarantäne, Verkehrsministerin Leonore Gewessler in Selbstisolation etc.
Die offiziellen Zahlen lassen darüber hinaus vermuten, dass die Pandemie gerade einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Es gibt mehr „aktive Fälle“ als im März. Allein: Zumal, viel mehr getestet wird, ist das relativ; so liegen zwar mehr Personen im Spital als im Sommer, aber halb so viele wie zu Spitzenzeiten im Frühjahr.
Das unterstreicht folgendes: Noch ist der Kontrollverlust vor allem ein politisch betriebener. In die Köpfe sehr vieler Menschen eingefressen haben sich nach Aussagen wie jener, wonach bald jeder jemanden kennen werde, der an Corona verstorben sei, die Verhältnisse vom Beginn der Pandemie. Bei diesem Stand ist es geblieben.
Wobei es eben eine verhängnisvolle Schere zwischen Regierungs- und Expertendarstellung gibt: Als der Arzt Christoph Wenisch, der in Österreich wohl die meisten Intensivpatienten behandelt hat, vor einigen Wochen von ORF Wien gefragt wurde, was er bisher gelernt habe, antwortete er „alles“ und berichtete von enormen Fortschritten der Medizin. Es provozierte keine Sorglosigkeit, war aber beruhigend.
Die Sehnsucht, Experten zu hören steigt. Sie werden jedoch gemobbt. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte im Frühjahr vollmundig, er höre nicht auf die „falschen Experten“. In Kenntnis der Entwicklungen seither kann man das als dumme Aussage bezeichnen. Wissenschaftsfeindlich war sie von vornherein.
Sie rächt sich: Nicht nur, dass der Nicht-Mediziner Kurz leichtfertig medizinisches Wissen ausblendete, im Herbst ist es auch in Mobbing ausgeartet. Kurz hat die Ampel-Experten-Kommission nicht einmal ignoriert und Mitte September eine zweite Welle ausgerufen. Kommissionssprecherin Daniela Schmid ortete zurecht ein Angst-Wort: Von einer Welle wird man überrollt. Das heißt, die Lage ist hoffnungslos und das treibt wiederum zu Selbstaufgabe und Panik. Klares Denken ist jedenfalls undenkbar.
Seither spielt die Ampel-Kommission trotz aller Bemühungen von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) für die Politik keine Rolle mehr. Zwei Mitglieder haben sich nun verabschiedet. Gründe nennen sie keine, Anschober sagt, sie hätten zu viel zu tun. Ganz ehrlich: Wenn sie den nötigen Sinn ihres Jobs erkannt hätten, wären sie wohl geblieben. Man hat ihnen jedoch zu verstehen gegeben, dass sie sich brausen gehen können. Jetzt fehlen sie.
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