Aufstand der Entmündigten

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ANALYSE. COVID-19: Die Bevölkerung ist sorglos. Kein Wunder: Die Politik hat ihr das Denken abgenommen. Das rächt sich.

Die Pressekonferenzen, die die Regierungsspitze seit Wochen immer wieder gibt, haben etwas von einem Morgenappell beim Bundesheer: Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Co. erklären, was zu tun ist. Zu Hause bleiben, Mund-Nasen-Schutz (MNS) tragen, keine Großeltern besuchen und so weiter und so fort. Fragen? Nicht vorgesehen. Vorschläge, geschweige denn Kritik, ebenfalls kein Thema.

Umso absurder war der Appell, der irgendwann im Juni gekommen ist: Eigenverantwortung! Das Ergebnis ist bekannt: Es klappt nicht. In Supermärkten trägt kaum noch jemand einen MNS. Abstand halten ist sowieso vergessen, Schwimmbäder werden gestürmt etc.

Man könnte glauben, es stecke politische Absicht dahinter: Wenn’s so weiter geht, müssen Herr und Frau Österreicher bald wieder entmündigt werden. Es gibt wieder mehr und mehr Infektionsherde, relativ kleine zwar, wenn das mit dem Contact-Tracing aber auch nur einmal nicht klappt, wird ein größerer daraus.

Doch zurück zur Eigenverantwortung: Sie ist den Leuten in der Not im März genommen – und bis zuletzt vorenthalten worden. Kein Wunder also, dass die Sache nicht funktioniert. Dass sich jetzt sehr viele Menschen benehmen, als gäb’s kein morgen (und keine Mitmenschen) mehr. Sie haben das nötige Rüstzeug dazu nie vermittelt bekommen.

Gegen Ende März, als offenbar klar war, dass das Ärgste ausbleiben wird, versäumte es die Regierung, einen offenen Prozess einzuleiten: Nicht drohen und Verbote erfinden, die’s in Wirklichkeit gar nicht gibt, sondern erklären, warum was klug oder verantwortungslos ist. Nicht immer selbst das Wort ergreifen, sondern mehr und mehr (möglichst) kundigen Experten die Bühne überlassen. Ja, und das Ganze auch von einer transparenten „Task Force“ vertiefen und begleiten lassen, die, wie zum Beispiel die eidgenössische, regelmäßig Papiere veröffentlicht, in denen alle erdenklichen Folgen, Nebenwirkungen und Risiken offen diskutiert werden.

Vielleicht hätte das ja etwa dazu beitragen können, dass der Bevölkerung bewusst wird, wozu ein MNS getragen werden sollte und vor allem, wie er gehandhabt werden müsste, damit er überhaupt etwas bringt. Aber nein, die Losung lautet schlicht: „Aufsetzen!“ Und irgendwann eben: „Abnehmen, wer will!“ Was zu so absurden Entwicklungen wie jener führt, dass Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) jetzt sagen muss, dass es nicht verboten sei, weiterhin einen solchen Schutz zu tragen.

Oder die Sache mit der „Stopp Corona-App“: Wochenlang lassen Kurz und sein Umfeld wissen, wie wichtig sie sei und dass sie irgendwann wohl zur Bürgerpflicht werde. Und dann reden sie plötzlich gar nicht mehr davon. Von 100 auf null. Das ist unglaubwürdig. Wetten: Bei der nächsten Welle werden sie sagen, „jetzt aber“. Und viele Leute werden gehorchen, ohne zu fragen, warum und wie – zumal sie nie dazu ermuntert worden sind, mitzudenken.

Das grundsätzliche Problem ist die sogenannte „Message Control“, die man an dieser Stelle halt leider wieder erwähnen muss. Die Methode, Botschaften im stillen Kanzleramtskämmerchen zu entwickeln, in weiterer Folge draußen zu vermitteln und durchzusetzen, dass sie auch beim letzten Adressat unter Garantie so ankommt wie beabsichtigt, lässt zwei, drei Dinge ganz und gar nicht zu: Erstens, Auseinandersetzung, geschweige denn Kritik. Zweitens, Kontrollverlust bzw. das Delegieren auch nur von Teilen der Corona-Krisenkommunikation an Beamte und Experten. Und drittens: Das Akzeptieren, geschweige denn Respektieren eines mündigen Gegenübers.

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