ANALYSE. Hier geht es nicht nur um die Absage von irgendetwas. Die Regierung ist gezwungen, einzugestehen, dass die Pandemiebekämpfung gescheitert ist.
Jedes Land ist eigentümlich, bei Österreich gehört zum Beispiel dies dazu: Der Opernball ist sprichwörtlich Gesetz. Es muss stattfinden. Im Bundestheaterorganisationsgesetz ist festgehalten, dass die Wiener Staatsoper eine Ballettschule zu führen „und den Wiener Opernball zu veranstalten“ hat. Das ist zunächst originell. In der Pandemie wird das aber zu einem Problem für die Bundesregierung.
Nachdem vor einem Jahre ein Licht am Ende des Tunnels verheißen wurde; nachdem Impfen zum „Game Changer“ erklärt wurde; nachdem Jugendliche im Sommer ermuntert wurden, sich ins Nachtleben zu stürzen; und nachdem die Pandemie überhaupt als „gemeistert“ ausgerufen wurde, müsste gerade der Opernball stattfinden. Als Ausdruck dafür, dass das gesellschaftliche Leben wieder „zur Normalität“ zurückgekehrt ist und vor allem auch dafür, dass wieder gefeiert werden darf. Wobei es sich trifft, dass das Ereignis von solcher Bedeutung ist, dass es laut einer Verordnung vom ORF übertragen bzw. für eine breitere Öffentlichkeit zumindest indirekt zugänglich gemacht werden muss. So gibt’s auch ein bisschen einen Volksball.
Vor diesem Hintergrund wäre eine Absage erstens gar nicht so einfach zu bewerkstelligen, vor allem aber ein offizielles Eingeständnis, dass die Pandemiebekämpfung insofern gescheitert ist, als all die erwähnten Verheißungen von Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und anderen nicht in Erfüllung gegangen sind; ja, dass es da und dort sogar noch schlimmer gekommen ist als im vergangenen Herbst.
Unter normalen Umständen ließe sich ein solches Problem elegant lösen: Man ruft den Staatsoperndirektor, also Bogdan Roščić, an und sagt ihm, er solle den Opernball absagen. Nach außen kommuniziert man das dann so, dass man bedauert, dass der Staatsoperndirektor den Opernball abgesagt habe, diese Entscheidung aber selbstverständlich zu respektieren ist. Das geht hier nicht: Der Staatsoperndirektor würde zum Gesetzesbruch aufgefordert werden, würde er dem nachkommen, würde er sich schuldig machen. Es müssen vielmehr ÖVP und Grüne eine Absage möglich machen, was praktisch heißt, dass sie eine solche selbst aussprechen.
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