ANALYSE. Es gibt gute Gründe für eine Arbeitszeitdebatte. Wie’s IV und Edtstadler kurz vor EU- und Nationalratswahlen anlegen, kommt aber eher keine Verlängerung heraus. Im Gegenteil.
„Wo sind die guten Erzähler, die in der Lage sind, das Notwendige populär zu machen und die Menschen mitzunehmen?“ Diese Frage hat der steirische Ex-Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) jüngst in der „Kleinen Zeitung“ aufgeworfen. Sein Nachfolger Herman Schützenhöfer (ÖVP) hat Ähnliches auch schon zum Ausdruck gebracht: „Die Politik muss das Notwendige umsetzen und populär machen.“
Sagen wir so: Die beiden wissen, worum es gehen würde. Bei Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) muss man das bezweifeln. Sie hat auf einer Pressekonferenz gerade so starke Sympathien für einen IV-Vorstoß zu einer Verlängerung der Arbeitszeit gezeigt, dass ORF.AT titelte, sie spreche sich für eine 41-Stunden-Woche aus. Wenig später wurde das gelöscht und kommentarlos durch eine Neufassung ersetzt. Es war ihr zu direkt: Sie sei „keine Befürworterin einer 41-Stunden-Woche“, habe ihr Büro mitgeteilt. In der Sache blieb sie jedoch konsequent: „Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir mehr als weniger arbeiten“. Nachsatz: Mit „linken Träumen“ einer Arbeitszeitverkürzung „wird es sich nicht ausgehen“.
SPÖ-Chef Andreas Babler wird das freuen. Endlich einmal Rückenwind. Er, der eine Arbeitszeitverkürzung fordert, bekommt hier unfreiwillige Unterstützung. Sie ist dazu angetan, die ÖVP weiter verlieren und seine Partei zumindest klar auf Platz zwei kommen zu lassen. Immerhin geht es hier nicht um irgendeine symbolische Frage oder um Ablenkung wie bei der Sache um eine Leitkultur, sondern um etwas, was sehr viele Wähler persönlich betrifft.
Es gibt gewichtige Gründe dafür, dass in Summe mehr und mehr Arbeitsstunden geleistet werden sollten in Österreich. Der Hinweis auf den Wohlstand ist ein relativer. Dafür wären schon auch Reformen relevant, die Etdstadlers ÖVP unterlässt – zu Pensionen und vielem anderem mehr. Auch das ist wohlstandsgefährdend.
Man darf aber nicht übersehen, dass es wirklich ein Problem gibt: Arbeitskräftemangel. Die Bevölkerung im sogenannten Erwerbsfähigenalter beginnt zurückzugehen. Da und dort, insbesondere in Kärnten und der Steiermark, droht sie in ländlichen Gebieten sogar einzubrechen.
Zu finden, dass die Arbeitszeit verlängert werden muss, ist aber noch nicht die Lösung. Dafür braucht man eine Mehrheit. Und Argumente. Die IV, die hier treibende Kraft ist, versucht es mit einem Hinweis von gestern: Chefökonom Christian Helmsentein machte bei einem Pressegespräch deutlich, dass man bei einer Reduktion der Arbeitszeit auf 80 Prozent übers Berufsleben auf bis zu 400.000 Euro und damit „ein bis zwei Wohnungen“ verzichte.
Edtstadler kommt eben mit dem Wohlstand daher. Zum Umdenken wird das jedoch kaum jemanden bringen. Edtstadler knüpft an die Erzählung an, wonach bisherige Generationen durch Fleiß Österreich zu dem gemacht haben, was es ist. Das ist grundsätzlich korrekt. Es schwingt jedoch mit, dass sie selbstlos waren und für die Nation arbeiteten.
Treibend war und ist für den Einzelnen jedoch das Ziel, es zu etwas zu bringen und sich ein gutes Leben leisten zu können. In den 1960er und 1970er Jahre hat man also gerabeitet, um sich ein Haus bauen und mit der Familie einmal ans Meer fahren zu können. Die Allgemeinheit hat in Form von Steuern und Beiträgen davon profitiert. Das stand für den Einzelnen aber nicht im Vordergrund.
Heute gehen sich für eine Masse zwei, drei Urlaube aus. Zumal sich das mit dem eigenen Haus aufgrund zu hoher Preise erledigt hat. Wichtiger: Ein wachsender Anteil der Erwerbstätigen verfügt über einen höheren Bildungsabschluss und damit auch über ein so hohes Einkommen, dass es möglich ist, weniger zu arbeiten und trotzdem ein gutes Leben zu führen.
Hier eine Bereitschaft für eine Arbeitszeitverlängerung zu erwirken, ist eine Kunst. Vielleicht geht es über Anreize? Jedenfalls nicht mit Appellen oder Warnungen, wonach der Wohlstand gefährdet sei.
Ganz besonders in einer Gesellschaft, in der eine relative Mehrheit weniger arbeiten möchte. Laut einer Mikrozensus-Erhebung der Statistik Austria wünscht sich jeder sechste Erwerbstätige in Österreich eine Arbeitszeitverkürzung und würde für eine solche auch einen Einkommensverlust in Kauf nehmen. Das bringt sehr viel zum Ausdruck. In der Eltern- oder Großelterngeneration stellte sich eine solche Frage nicht, weil das Geld in der Regel kaum gereicht hat.
Auffallend sind Unterschiede, die beim Arbeitszeitwunsch nach gewissen Kriterien existieren: Mehr arbeiten wollen am ehesten Teilzeitbeschäftigte. Bei Vollzeitbeschäftigten tun das nur drei Prozent. 21 Prozent wünschen sich hier eine Reduktion. Nach Alter gibt es diesbezüglich kaum einen Unterschied, sehr wohl aber nach Bildungsabschluss: Nur jeder Zehnte, der maximal über einen Pflichtschulabschluss verfügt, aber fast jeder vierte Akademiker hätte gerne eine Arbeitszeitverkürzung. Nach Einkommen sind keine Daten ausgewiesen, man kann aber vermuten, dass diese Akademiker so viel verdienen, dass sie buchstäblich auf einen Teil davon verzichten könnten.