Wie eine Klimabewegung entgleitet

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ANALYSE. Auch die Grünen haben keinen Draht zu Aktivisten, die sich auf Straßen festkleben und Kunstwerke beschmieren. Hier entstehet etwas radikal Neues. Kein Wunder.

Gerade kam die Meldung, dass Aktivisten der „Letzten Generation“ im Wiener Leopold Museum eine schwarze, ölige Flüssigkeit auf eine Glasscheibe geschüttet haben, die das Klimt-Gemälde „Tod und Leben“ schützen soll. Das reiht sich ein in eine Serie einschlägiger Proteste. Ausgerechnet auch die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zeigt wenig Verständnis dafür. „Ich bin Ministerin, und ich möchte in dieser Position nicht der Zivilgesellschaft ausrichten, welche Aktionsformen sie wählen soll“, betonte sie jüngst in einem Interview mit dem TV-Sender Puls 24: „Ich kann nur sagen, in meiner Zeit in der Zivilgesellschaft, habe ich andere Formen des Protests gewählt.“ Es sei zwar notwendig, auf „die Dringlichkeit des Problems aufmerksam“ zu machen, aber „es ist auch wichtig, dass man die Leute am Weg zur Lösung nicht verliert“.

Das ist spannend: „Früher“ waren Grüne diejenigen, die Auen besetzt haben, die aus Protestbewegungen ebendort hervorgegangen sind. In den vergangenen Jahren, ja Jahrzehnten haben sie sich jedoch zu einer gemäßigten Mitte gewandelt. (Man muss schon sehr weit rechts stehen, um sie einfach nur als sehr Linke dazustellen. Das sind sie nicht. Dazu fehlen etwa Ansätze zu einer kompromisslosen Umverteilung.)

Die Grünen stehen zumindest in Teilen eher für das, was in der jüngsten Sinus-Milieustudie als waschsende Gruppe der „Progressiven Realisten“ bezeichnet wird. Bereits sieben Prozent der Bevölkerung würden ihr angehören: „Sie sehen sich als Changemaker und als Treiber:innen einer alternativlosen globalen Transformation. Sie haben ein starkes Bedürfnis nach Mitsprache und Mitgestaltung bei Staat und Gesellschaft und eine hohe Bereitschaft, sich aktiv einzubringen. Ihr Denken und Handeln ist durch Realismus und Pragmatismus und gleichzeitig auch von Selbstbewusstsein, Resilienz und Ergebnisorientierung geprägt. Sie streben nach konsequenter Umsetzung von nachhaltigen Alternativen im Alltag und einem umwelt- und klimasensiblen Lebensstil – ganz ohne Verzichtsideologie und Untergangsrhetorik“, so das Integral-Institut, das die Erhebung durchgeführt hat.

Integral ordnet die „Progressiven Realisten“ dem zu, was man einst als bürgerliche Mitte bezeichnet hat. Sie seien daraus entstanden. Aus einem anderen Teil dieser Mitte sei das „Nostalgisch-Bürgerliche Milieu“ geworden, „das die vermeintliche ‚Ordnung der Vergangenheit‘ wieder herstellen möchte und zum Sprachrohr des überforderten und unzufriedenen Teils unserer Gesellschaft wird“. Hier setzen Freiheitliche und Türkise an.

Aktivisten der „Letzten Generation“ sind schwer zu verorten. Ihr Aufkommen liegt aber fast schon in der Natur der Sache: Wenn schon UN-Generalsekretär António Guterres meint, dass „wir auf dem Highway zur Klimahölle sind – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“, dann kann man nicht erwarten, dass sich alle Jungen, die noch sehr lange auf dieser Welt leben müssen, zufriedengeben mit ein bisschen CO2-Bepreisung oder einem Klimaticket; mit Maßnahmen also, die gerade so weit gehen, dass eine Mehrheit der Gesellschaft ohne größere Überzeugungsarbeit nicht „vom Weg zur Lösung“ abweicht, um es in Anlehnung an die Worte von Gewessler zu sagen.

Das provoziert geradezu eine radikale Gegenbewegung, wie es sie schon sehr lange nicht mehr gegeben hat; und die ihrerseits wiederum eine eigene Gegenbewegung hervorruft, die ausschließlich Unverständnis für sie zeigt.

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