BERICHT. In Österreich eher „Freiheit des Einzelnen“, in Deutschland mit Abstand „Frieden“.
ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab hat im März von ihrem Chef, Kanzler Karl Nehammer, den Auftrag erhalten, festzulegen, was „Leitkultur“ ist. Aus einer Expertenrunde, die sie dazu bilden wollte, hat sich Kenan Güngör, Fachmann für Integrationsfragen, aber gleich einmal verabschiedet: Er wollte sich nicht für „Leitkulturpopulismus“ einspannen lassen. Das war vor dreieinhalb Monaten. Seither ist es ruhig geworden um das Thema.
Würde sie es ernst meinen, wäre die Sache gerade auch für eine rechtspopulistische Partei schwierig. Zu Werten, auf die es ankommen könnte, gibt es weniger denn je einen gesellschaftlichen Konsens. Sagt man zum Beispiel XY sei relevant, riskiert man, eine Gruppe zu verstören, die man eigentlich ansprechen möchte. Wohl auch daher geht FPÖ-Obmann Herbert Kickl im Unterschied zu Türkisen auf Nummer sicher und sagt sinngemäß: „Leitkultur ist, wie wir sind.“ Das darf jeder verstehen, wie er möchte, da kann jeder zufrieden sein.
Es ist schwierig, den Vorstellungen einer Masse gerecht zu werden. Bei der jüngsten Eurobarometer-Standarderhebung sind etwas mehr als 1000 ab 15-jährige EU-Bürgerinnen und -Bürger in Österreich gefragt worden, welche Werte ihnen am wichtigsten seien. 13 Antwortmöglichkeiten waren vorgegeben. „Respekt gegenüber anderen Kulturen“ etwa. Darauf entfielen hierzulande mit sieben Prozent die wenigsten Nennungen, gefolgt von „Religion“ (neun Prozent) und „Toleranz“ (zwölf Prozent).
Bemerkenswert: Auch die Werte für „Respekt gegenüber dem Planeten“ oder „Rechtsstaatlichkeit“ fielen mit 13 bzw. 14 Prozent relativ bescheiden aus.
Umgekehrt am häufigsten genannt wurde „Freiheit des Einzelnen“ mit 49 Prozent, also von fast jeder zweiten befragten Person. Der Verdacht, dass das eine Coronamaßnahmenfolge ist, lässt sich nicht erhärten. Schon 2019 fiel der Anteil ähnlich groß aus. Und vor allem überdurchschnittlich im europäischen Vergleich: „Freiheit des Einzelnen“ wird in Deutschland etwa nur von 20 Prozent zu den wichtigsten Werten gezählt. Dort steht „Frieden“ mit ganzen 66 Prozent im Vordergrund (hierzulande: 47 Prozent), sind im Übrigen auch „Demokratie“ (46 Prozent) oder „Menschenrechte“ (33 Prozent) für mehr Menschen von herausragender Bedeutung als in Österreich (27 bzw. 25 Prozent).