Was los ist

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ANALYSE. Dass die FPÖ mit Kickl relativ stärkste Partei werden konnte, hat auch mit gesellschaftlichen Krisenfolgen und ihrem Umgang damit zu tun. Das darf nicht untergehen.

Wie kann es sein, dass eine relative Mehrheit der Wählerinnen und Wähler eine FPÖ unterstützt, deren Obmann sehr offen antritt, die Demokratie zu zertrümmern, indem er sich als „Volkskanzler“ anbietet, Andersdenkende als „Volksverräter“ bezeichnet und mit „Fahndungslisten“ arbeitet? Der im Übrigen auf fundamentale Rechte pfeift, wenn es um Migranten geht, ja sich für „Remigration“ ausspricht? Wie ist das alles in einer Zeit möglich, in der Österreich durch die Hochwasserkatastrophe gerade eine Ahnung von der Klimakrise bekommen hat, die es laut dem Obmann dieser Partei gar nicht gibt?

Dieser Erklärungsversuch setzt dort an, wo die FPÖ zum Beispiel ganz besonders erfolgreich ist. Laut „Foresight“-Wahltagsbefragung kam sie unter Facharbeitern auf rund 40 Prozent. Tatsächlich hat die Partei etwa in den zehn Bezirken mit dem höchsten Anteil an Männern und Frauen mit (maximal) Lehrabschluss einen überdurchschnittlichen Stimmenanteil von mehr als 28,9 Prozent erzielt. Siehe Grafik. An der Spitze steht Spittal an der Drau (43,7 Prozent), vor Leibnitz und Deutschlandsberg mit jeweils knapp 40 Prozent. Das ist sehr wahrscheinlich eben kein reiner Zufall.

Was treibt Facharbeiter nun aber zur FPÖ? Behauptung: Es hat vor allem mit Abstiegsängsten zu tun, die in Krisenzeiten viel größer und oft sogar real geworden sind. Beziehungsweise: Eine Mehrheit der Menschen, die sich selbst der Arbeiterschicht oder der unteren Mittelschicht zuordnen, hat das Gefühl, dass sich der Lebensstandard bereits verschlechtert hat. Auch darüber hinaus trifft das auf viele zu. Das ist – wie hier berichtet – bei einer Eurobarometer-Befragung herausgekommen.

Das ist das eine. Das andere: Es wird gemeinhin nicht nur nicht wahrgenommen, es wird vielmehr darüber hinweggetäuscht. Allenfalls mit dem Hinweis, dass das subjektive Empfindungen seien. In der Regel neigt gängige Regierungspolitik im Übrigen dazu, zu tun, was sie über die Jahrzehnte perfektioniert hat: Behaupten, dass man gut durch die Krise komme; oder betonen, dass man eh „Koste es, was es wolle“-Hilfspakete schnüre.

Das geht jedoch vollkommen vorbei am Problem: Bei den Eurobarometer-Befragungen geben ja trotzdem so viele Menschen an, zu finden, dass sich ihr persönlicher Lebensstandard verschlechtere. Das ist verhängnisvoll: Es geht hier um Menschen bis hinein in die Mittelschicht.

Das sind Menschen, die bisher davon ausgehen konnten, dass es ihren Kindern (noch) besser gehen wird als ihnen. Die dafür und auch für Ziele wie ein Haus mit Garten gearbeitet haben. Für die solche Ziele in den vergangenen Jahren aber zunehmend unerreichbar geworden sind und die zu oft befürchten, dass jetzt überhaupt alles den Bach runtergeht. Für sie bricht eine Welt, wie sie nach ihrem Verständnis sein sollte, zusammen.

Da ist diese Regierungspolitik, die behauptet, es sei doch alles super, daneben. Schlimmer: Sie vergrößert auf der anderen Seite das Potenzial für Populisten und Demagogen wie Kickl: „Den Volksverrätern seid ihr egal“, redet er den Leuten ein und sie entdecken für sich, dass es genau so sei. Er bietet sich als „Volkskanzler“ an, der nach unten dient und nach oben tritt – und sie stimmen zu, dass das jetzt wirklich gefragt sei.

Wichtig: Hier müssen noch Asyl und Migration sowie Klimapolitik erwähnt werden.

Es ist bekannt, dass ausländerfeindliche Botschaften oft dort stärker ankommen, wo relativ wenige Ausländer leben. Dass hier eher sogar Abwanderung vorherrscht. Womit ein allgemeiner Niedergang einhergeht. These: Das – und damit auch der Zuspruch zur FPÖ – verstärkt sich tendenziell dort, wo jetzt auch noch grundsätzlich eine Verschlechterung des Lebensstandards wahrgenommen wird. Aufgrund der Teuerung etwa. Oder aufgrund der höheren Zinsen.

Da greifen dann auch Erzählungen wie jene, dass Flüchtlingen „statt“ eigenen Leuten geholfen werde. Da mag es irrational werden, macht die Mindestsicherung doch nur gut ein Viertelprozent des BIP aus, Empfindungen sind jedoch stärker. Zumal ja sogar vermeintlich bürgerliche Politiker aufstehen und rufen: „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem!“ Das ist wie eine Bestätigung der genannten Empfindung.

Dazu passt: Bei den Eurobarometer-Befragungen wird auch regelmäßig erhoben, wie der Beitrag von Zuwanderern für das Land gesehen wird. Keinen positiven orteten zuletzt zwei Drittel derer, die sich der Arbeiterschicht zuordnen und 43 Prozent all jener, der sich in der unteren Mittelschicht sehen. Es kommt nicht irgendwoher.

Erwähnt werden muss im Übrigen die Klimapolitik. Es ist empirisch nicht gestützt, freiheitliche, aber auch türkise Agitationen deuten jedoch darauf hin, dass es gerade auch in diesen Gruppen eine Verweigerung, ja Abwehr gibt, wenn es um dieses Thema geht. Die Grünen sind demnach genauso störend wie all die Wissenschaftler oder auch Aktivisten, die auf Bedrohungen hinweisen. Störend, weil ohnehin schon zu vieles aus dem Lot ist und man sich unter keinen Umständen noch mehr Frage stellen mag, die unangenehm sind.

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