ANALYSE. Integrationsministerin Plakolm will Migranten sagen, woran sie sich zu halten haben. Weiß es ihre Partei, die ÖVP? Weniger denn je. Das ist ja ihr Problem.
Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) arbeitet gerade an einem verpflichtenden Integrationsprogramm für Zuwanderer: „Wer bei uns leben will, muss Deutsch lernen, sich um einen Job bemühen, unsere Werte und Gesetze achten und wissen, wofür Österreich steht und wofür es niemals stehen wird“, sagte sie auf einer Pressekonferenz und sprach davon, dass „unsere Werte“ das Herzstück der Integration bilden würden.
„Unsere Werte“ ist ein großer Begriff. These: Wäre er klar und würde er zum Beispiel auch von ÖVP-Politikern gelebt werden, hätte die Volkspartei keine Krise. Plakolm wird es nicht bewusst sein: Sie spricht im Zusammenhang mit Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen muslimischen Ländern davon; mit Vätern etwa, die ihre Töchter dazu zwingen, ein Kopftuch zu tragen.
Trotzdem ist es „mutig“, die Einhaltung von Werten einzufordern, wenn es zu viele in der ÖVP in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen selbst nicht schaffen. Beispiel August Wöginger, der gestanden hat, Postenschacher, also eine Form von Korruption, betrieben zu haben. Und der – mit Rückendeckung seiner Parteifreunde – hier kein so schweres Vergehen sieht, dass er geht. Ja, bei dem Waltraud Klasnic sogar den Verhaltenskodex für Funktionäre außer Kraft setzt, über dessen Einhaltung sie wachen sollte.
Zu Erinnerung: Wöginger hat einem Parteikollegen geholfen, Leiter eines Finanzamtes in Oberösterreich zu werden. Und zwar auf Kosten einer besserqualifizierten anderen Kandidatin. Das widerspricht eindeutig dem erwähnten ÖVP-Kodex, in dem es heißt, dass sich Funktionäre um Bürgeranliegen kümmern und sich um Lösungen bemühen würden. Aber: „Dabei ist darauf zu achten, dass es nicht zu unzulässiger Einflussnahme, inhaltlicher oder zeitlicher Bevorzugung insbesondere gegenüber Dritten kommt.“
Konsequenzen für Wöginger? Mit Klasnics Gnaden null.
Das Ganze widerspricht auch dem Leistungsgedanken, dem sich die Partei in Sonntagsreden verpflichtet: Von wegen, auf Leistung kommt es an. Das „richtige“ Parteibuch braucht man, basta.
Zu „unseren Werten“ kaum zählen wird außerdem „Wasser predigen und Wein trinken“. Oder die Öffentlichkeit in die Irre führen, wie es der scheidende Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer ebenfalls getan hat, der sich und seinen Mitarbeitern hohe und höhere Gehälter zugestand, während er sonst zu Lohnzurückhaltung aufrief; und der dann in Bezug auf die Anpassung im kommenden Jahr so tat, als habe er diese durch ein Machtwort von 4,2 auf 2,1 Prozent halbiert (in Wirklichkeit gibt es mit 1. Juli 4,2 Prozent).
„Unsere Werte“ sind für die ÖVP im Übrigen ungewiss, wenn es um die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geht. Da geht es um nichts anderes, als in Kauf zu nehmen, dass Abgeschobene im Zielland gefoltert werden könnten.
Bei „unseren Werten“ tief blicken lässt auch die mächtigste ÖVP-Politikerin Österreichs, die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner: Einst propagierte sie ein „Miteinander“ im Land. Nach der Wahlniederlage vor zwei Jahren ging sie zu einem „Gegeneinander“ über und begann gezielt zu spalten, indem sie von „normal denkenden“ Menschen sprach, was impliziert, dass es auch nicht normal denkende gebe, zu denen sie etwa „Klimakleber“ zählte.
An Leopoldi, dem Landesfeiertag, sprach sie jetzt zwar wieder von einer Stärkung des Zusammenhalts, machte in einem Nachsatz jedoch klar, dass das kein Zurück zu einem Miteinander der Vielen – auch Nicht-Christen und Nicht-Muslimen – ist, die in Niederösterreich leben: Es gehe darum, betonte sie, dass die Gesellschaft „gerade jetzt für Traditionen und Glauben“ einstehe. Im Sinne der „Nikolo-Pflicht“ wohl etwa, die sie mit dem vergangenen Jahr an niederösterreichischen Kindergärten durchgesetzt hat und die so weit weg von einem aufgeklärten Geist ist.