ANALYSE. Bundeskanzler Sebastian Kurz ruft Sozialdemokraten zur Hilfe – und sie lassen sich nicht zweimal bitten. Zum Leidwesen von Grünen, aber auch Pinken könnte mehr daraus werden.
Das „virologische Quartett“ ist Geschichte. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) lässt neben Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) nicht mehr Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) an seiner Seite auftreten, wenn es darum geht, auf einer Pressekonferenz Entscheidendes zu verkünden. Neben dem Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, dem Steirer Hermann Schützenhöfer (ÖVP), und einem Mediziner stand da am Sonntagvormittag der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Das war Ausdruck einer schleichenden Entwicklung hin zu einem türkis-roten Zweckbündnis, das neben der türkis-grünen Koalition steht.
Mit den Grünen kann der Kanzler viel, aber nicht alles machen, was ihm wichtig ist. Für seine Flüchtlingspolitik hat er sie sich zurechtgerichtet; da behindern sie ihn kaum. Im Zusammenhang mit der Coronakrise kann er jedoch nicht allzu viel anfangen mit den Grünen: Natürlich spielt Anschober als Gesundheitsminister eine Rolle. Zumindest so maßgeblich sind von vornherein jedoch die Länder, die nicht nur türkis, sondern auch rot sind.
Bemerkenswert lange hat Kurz das ausgeblendet. Nicht vergessen ist, wie er sozialdemokratische Ländervertreter im vergangenen Jahr dumm sterben ließ, als es um wichtige Entscheidungen ging. Allerdings nur, so lange es aus seiner Sicht gut lief. Zu den Wendepunkten zählten die gescheiterten Massentestungen Anfang Dezember: Da tat sich Kurz plötzlich mit dem roten Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zusammen, um doch noch Leute dafür zu gewinnen.
Möglicher Nebengedanke, jedenfalls aber mögliche Nebenwirkung: Indem Kurz die mächtigen Vertreter der größten Oppositionspartei ins Krisenmanagement einbindet, neutralisiert er auch ein Lager, aus dem Kritik kommen könnte. Ja, er kann sich sogar als der Staatsmann inszenieren, der parteiübergreifend agiert.
Sebastian Kurz hat zuletzt auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner nicht mehr links liegen lassen, sondern zu inhaltlichen Gesprächen getroffen. Der nunmehrige Auftritt mit Ludwig war so gesehen nur eine logische Folge.
Für die Grünen ist nicht nur das ein kleines Alarmsignal: In wirtschaftlichen Belangen setzt Kurz seit Beginn der Pandemie auf die Sozialpartner, die noch immer türkis-rot sind und die Entscheidungsspielräume, die ihnen Kurz überlässt, gerne nützen.
Daraus könnte mehr werden: Wirtschaftliche und soziale Probleme, die man Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Klärung übertragen kann, werden in nächster Zeit nicht weniger und kleiner, sondern zahlreicher und größer. Sobald Hilfspakete auslaufen, werden Folgen der Krise deutlich. Dann könnte Kurz sogar froh sein über Gewerkschafter und Wirtschaftskämmerer, die sich zur Mitarbeit anbieten: Dann bleibt die Verantwortung nicht so sehr an ihm hängen, dann fallen absehbare Konflikte, die ihm schaden könnten, möglicherweise auch weniger hart aus.
Sozialdemokraten lassen sich nicht zweimal bitten. Ludwig bekundete mit seinem Pressekonferenz-Aufritt am Sonntag nicht nur Unterstützung für den Kanzlerweg: Er blamierte damit auch seinen Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Während er Verschärfungen das Wort redete, präsentierte dieser ausgerechnet in der Sonntags-Krone ganz andere Sichtweisen. Zitat: „Die Mutation ist schon die ganze Zeit da, aber es ist kein Hollywood-Zombie-Virus. Es bleibt das Covid-19-Virus. Und jetzt machen wir einen auf hysterisch.“
Ein ähnliches Schicksal ließ Ludwig seinem pinken Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr zuteil werden. Wiederkehr hatte seit Tagen auf baldige Schulöffnungen gedrängt. Mit der Lockdown-Verlängerung, die der Bürgermeister nun im Kanzleramt mitgetragen hat, wird daraus jedoch nichts werden.
dieSubstanz.at spricht Sie an? Unterstützen Sie dieSubstanz.at >
2 Kommentare