Sündenböcke

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ANALYSE. In der Teilzeitdebatte geht es nicht um Wirtschaft und Wohlstand. Sondern um Ablenkung und das Schüren gesellschaftlicher Konflikte.

Wo war die Leistung? ÖVP-Klubobmann August Wöginger steht vor Gericht. Der Vorwurf lautet Anstiftung zum Amtsmissbrauch. Fakt ist: 2017 hat der Oberösterreicher geholfen, dass ein Parteifreund Leiter des Finanzamtes Braunau wird. Die unterlegene Kandidatin hatte kein Parteibuch und daher das Nachsehen. Sie wäre besserqualifiziert gewesen, ist aber, wie das Bundesverwaltungsgericht hinterher bestätigt hat, aus weltanschaulichen Gründen nicht zum Zug gekommen.

Wo war die Leistung? Die Frage bezieht sich nicht auf das Tun von Wöginger, sondern darauf: Die Causa steht dafür, dass es ihm und seinesgleichen in der Praxis eben nicht um Leistung geht. Sonst hätten sie den Parteifunktionär nicht zum Finanzamtsleiter gemacht.

Besonders die ÖVP redet jedoch tagein, tagaus von Leistung. „Leistung muss sich lohnen“, sagt sie, die im vergangenen Vierteljahrhundert meist den Finanzminister gestellt hat, und damit kritisiert, dass die Löhne zu stark belastet werden, also entlastet gehörten.

Schon sehr lange hat sie auch ein Bild für Leistung: „Wir sind die Partei für die Menschen, die morgens früh aufstehen, hart arbeiten und am Ende des Monats mehr davon haben wollen“, schrieb sie etwa 2013 in einem Wahlprogramm. Später zeigte sich Sebastian Kurz besorgt, dass „immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten“. Es war gerichtet gegen Arbeitslose und Mindestsicherungsbezieher, die das (zur Arbeit gehen) nicht oder oft nicht tun können und die damit als Faule dargestellt werden.

Vor zwei Jahren hat die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) das in ihre Vorstellungen von „Normalität“ aufgenommen. Dazu zählte sie genau jene Menschen, die in der Früh aufstehen und zur Arbeit wollen, nicht aber jene, die sich auf die Straße kleben. Diesmal war es also auch gegen Klimaaktivisten gerichtet.

Heute ist das Gegenteil von „früh aufstehen“ für Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) und eben Mikl-Leitner „Wellnessmentalität“ und „Lifestyle-Teilzeit“. Es sind also Leute, die weniger als Vollzeit arbeiten, ohne Betreuungspflichten zu haben. Mikl-Leitner sagt: „Im Sinne der Generationengerechtigkeit und des Generationenvertrages wird sich das nicht ausgehen, wenn alle – im Sinne der Work-Life-Balance – weniger ins System einzahlen, aber dann das volle System nutzen. Das ist unfair und ungerecht.“

Es ist kaum zu glauben, dass die Landeshauptfrau das ernst meint: Beim Generationenvertrag geht es zunächst einmal um das Geben von jeweils Jüngern zugunsten von jeweils Älteren. Das ist grundsätzlich gut, zumal am Ende des Tages alle etwas davon haben. Es geht jedoch um die Balance bzw. darum, was relativ weniger werdenden Jungen zumutbar ist – und das ist Mikl-Leitner und Co. egal.

Das leitet über zum tieferen Sinn des Ganzen: Wenn es wirklich eine ernsthafte Teilzeitdebatte geben würde, dann würde zunächst einmal außer Streit gestellt werden, dass die Entscheidung über das Wie viel an Leistung eine individuelle ist. Würde wahrgenommen werden, dass Unternehmen aus nachvollziehbaren Gründen zunehmend gerne oft nur Teilzeitjobs anbieten (zum Beispiel in der Gastronomie für Spitzenzeiten).

Würde gerade eine konservative Partei in sich gehen: Warum sehen wir die Frau so gerne in der Rolle als Mutter, ja Hausfrau und wundern uns dann darüber, dass Frauen überwiegend Teilzeit arbeiten? Ist das nicht inkonsequent bei einem solchen Rollenbild? Oder: Worauf haben wir in all den Jahren, in denen wir schon mitregieren, im Steuersystem vergessen, dass Anreize für Mehrarbeit fehlen? Und so weiter und so fort.

Unterm Strich bleibt ein böser Verdacht: Bei Teilzeit geht es nicht um die Sache. Es geht darum, abzulenken und gesellschaftliche Konflikte zu schüren. Konkret: Dafür, dass das Budget aus dem Ruder gelaufen ist und Österreich auch in Bezug auf Wirtschaftsleistung und Teuerung zurückfällt im europäischen Vergleich, können Teilzeit-Beschäftige so gut wie nichts. Genauso wenig wie dafür, dass eine Masse eher nur weitere Verschlechterungen erwartet in den kommenden Jahren.

Teilzeitbeschäftigte sind die Sündenböcke: Mikl-Leitner und ihresgleichen weisen so jede Verantwortung für die missliche Entwicklung von sich. Und sie leiten den Unmut aller, die in der Früh aufstehen und sich zu den Normalos zählen, um – an ihrer Lage sollen demnach Teilzeitbeschäftigte schuld sein.

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