ANALYSE. Österreich drohen eine gesellschaftspolitische Verengung und eine verstärkte Benachteiligung von Frauen.
Die ÖVP hat’s nicht aufgegeben: Integrationsministerin Susanne Raab legt ihr Amt parteipolitisch aus und veranstaltet am 28. März eine „Expertinnen- und Expertenrunde zur österreichischen Identität und Leitkultur“ bzw. zu „Werten des Zusammenlebens“. Bezeichnend: Das Ganze ist zwar als Pressetermin ausgeschrieben, eine Pressekonferenz ist aber nicht vorgesehen. Geben soll es lediglich Foto- und Filmmöglichkeiten sowie einen „Doorstep“. Sprich: Auf dem Weg zum Termin wird Raab sagen, was ihre Berater gesagt haben, dass sie sagen soll. Das nennt man auch „Message Control“. Die Zeit für Fragen ist begrenzt.
Das ist im vorliegenden Fall besonders wichtig, weil es nichts Wesentliches zu sagen gibt: Auch Raabs Chef, Bundeskanzler Karl Nehammer, kann nicht erklären, was er unter Leitkultur versteht. Kein Wunder: Vermittelt werden soll eine Botschaft ohne Inhalt: Wir sind wir und das passt so. Wer zuwandert, soll sich anpassen oder wieder gehen. Zitat ÖVP: „Wer unsere Art zu leben ablehnt, muss gehen.“
In Österreich ist jeder willkommen, der zu unserer Gesellschaft beitragen und unsere Lebensweise teilen möchte. Wer zu uns kommt, muss sich an unsere Spielregeln halten und sich anpassen. Das bedeutet auch: Wer unsere Art zu leben ablehnt, dem steht es frei, zu gehen! pic.twitter.com/ymJOhhipWN
— Volkspartei (@volkspartei) March 25, 2024
Problem: Man hält nicht Werte bzw. Elemente der Aufklärung, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit hoch, die ja gerade Grundlage einer pluralistischen Gesellschaft sein könnten. Man hat in Wirklichkeit auch keine greifbare Alternative vorzuweisen (wobei eine solche für sich genommen schon schlimm wäre), sondern macht die Sache noch übler, indem man diffus bleibt. Man stellt, wie im niederösterreichischen Regierungsprogramm, allenfalls fest, dass Wirtshäuser mit gewohnter Küche und Deutsch auf Schulhöfen relevant seien.
Auch das ist kein Wunder: Man kann sich zum Beispiel schwer auf ein christliches Abendland berufen, weil auch immer mehr Menschen ohne Migrationshintergrund nichts anfangen können mit einem solchen. Also bleibt lediglich, Menschen mit Migrationshintergrund aufzufordern, sich an etwas anzupassen, was jeder auslegen kann, wie es ihm gefällt.
Das Bemühen um eine offene, tolerante Gesellschaft, die nicht beliebig, sondern prinzipientreu ist, war insofern gestern. Angesagt ist eine willkürliche, ja bösartige Verengung.
Genug? Woher: Man muss davon ausgehen, dass sich noch mehr zum Schlechteren wendet. Besonders für Frauen; ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Es ist naiv geworden, zu glauben, dass ihr Aufstieg über Bildung sowie der zunehmende Arbeitskräftemangel quasi automatisch dazu führen werden, dass sie gleichziehen mit Männern.
Legt man Parteiprogramme und Österreich-Pläne von FPÖ und ÖVP sowie ihre Regierungsprogramme in Salzburg und Niederösterreich übereinander, ergibt sich ein Muster: Frauen sollen den wachsenden Pflegebedarf ebenso „zu Hause“ schultern wie Kinderbetreuung. Zumal es günstiger ist für die Kommunen.
Verkauft wird beides vollkommen unverdächtig: Die Rede ist vom „Erfolgsmodell Pflege daheim-Bonus“. Und von Wertschätzung für all jene, die sich im Rahmen vermeintlicher Wahlfreiheit dafür entscheiden, nicht erwerbstätig zu sein, sondern sich um den Nachwuchs zu kümmern. Man werde sich dafür eine „Form der finanziellen Unterstützung“ einfallen lasen, heißt es im Salzburger Regierungsprogramm.
Natürlich: Dass Frauen gemeint sind, wird verschweigen. Es ist überflüssig, es zu erwähnen: Frauen verdienen in der Regel ja noch immer weniger als Männer. Die Entscheidung, ob sie oder er zu Hause bleibt, sind, ist daher nicht frei, sondern klar: Sie.