ANALYSE. Grenzüberschreitendes Denken in Zeiten des Coronavirus? Fehlanzeige. Das ist Gift für Europa.
Ernst Fischbacher, Bürgermeister von Ramsau am Dachstein, riegelte seine Gemeinde ab. Einheimische sollen unter sich bleiben, Fremde keinen Zugang mehr haben. Rechtlich abgesichert soll die Sache nicht sein, so die Austria Presseagentur (APA). Doch wen kümmert das noch? Bezeichnend ist denn auch ein Bild von einem Kontrollposten vor dem offiziellen Luftkurort, der von der Bergrettung gebildet wird. Ja, von der Bergrettung: In der Not hat sie ganz offensichtlich weitreichende Exekutivgewalt erhalten. Einsatzziel: Ramsau muss virusfrei bleiben.
Das Beispiel ist bezeichnend. Was da im Kleinen in der Obersteiermark passiert, wird im Großen seit Tagen praktiziert. Europa ist vergessen, die Nation geht vor: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnt vor geschlossenen Grenzen, doch die gibt es schon. Österreich riegelt die Grenzen zu Italien ab – und zwar so, dass Waren extrem schwer durchkommen. Tschechien riegelt wenig später die Grenzen zu Österreich ab und so weiter und so fort. Schengen? Unbekannt.
Das österreichische Tirol weist sogar Österreicher, aber Nicht-Tiroler aus. Wer keinen Haupt- oder Nebenwohnsitz im Land hat, muss abreisen. Wie und wohin, ist egal. „Neben uns die Sintflut“, lautet das Motto. Wie schon bei der Verabschiedung von Touristen aus dem Paznauntal und aus St. Anton: Sie hat man am Wochenende mit der Auflage verabschiedet, direkt nach Hause zu fahren. Einige machten jedoch Halt in Innsbruck, um ebendort zu übernachten. Ob sie infiziert waren und damit möglicherweise auch andere Personen – in der Tiroler Landeshauptstadt oder in ihrer Heimat – angesteckt haben? Sie waren nicht getestet worden.
Jetzt ist jeder sich selbst der Nächste. Oder doch nicht ganz: Die deutsche Bundesregierung hat den Export von Atemmasken und anderer Schutzausrüstung eingeschränkt, liefert andererseits jedoch eine Million Masken nach Italien. Immerhin. Ein bisschen Solidarität ist in Europa also doch noch vorhanden. Doch ob das die Integration nach der Krise noch retten kann?
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