ANALYSE. Lockdown: Österreich werde durch ein Papier der deutschen Akademie der Wissenschaften bestätigt, sagt Kurz. In Wirklichkeit wird es eher beschämt. Aber sei’s drum.
„Uns bestätigt dieses Papier“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu einer Ad-hoc-Stellungnahme der deutschen Akademie der Wissenschaften, Leopodina, zur weiteren Bekämpfung der Pandemie: Was Österreich gemacht habe, sei aus Sicht dieser Experten richtig gewesen, so Kurz. Sagen wir, es ist ein Versuch, gewisse Maßnahmen nachträglich zu rechtfertigen. Fast noch bemerkenswerter ist jedoch die Behauptung, dass das Papier für Österreich hilfreich sei. Beim Wort genommen ist das ein Eingeständnis und eine Ankündigung neuer Beschränkungen inkl. Kurskorrektur.
Eher als Deutschland könnte Kurz übrigens Italien zum Vorbild für den Umgang mit der zweiten Welle erklären: Im südlichen Nachbarland, dem er im Sommer unterstellte, in seinem System kaputt zu sein, hat sich die Zahl der Infektionen gemessen an der Bevölkerung lange Zeit genau so entwickelt, wie jene in Österreich. Dann sind die Italiener zu keinem flächendeckenden Lockdown geschritten, sondern haben sich mit weitreichenden Beschränkungen in Regionen begnügt, in denen es nötig erschien. Ergebnis: Die Kurven flachten ab und sinken seit geraumer Zeit fast, wie sie es in Österreich tun; nur, dass man hierzulande halt das öffentliche Leben bundesweit stilllegen musste.
Sehr wahrscheinlich gab es keine Alternative mehr dazu. Doch das führt jetzt zu weit. Hier geht es um das deutsche Vorbild: Berlin ist Anfang November bei einer Inzidenz von 115 zu einem weichen Lockdown geschritten; die Leopoldina hat nun bei 147 einen harten empfohlen. Österreich hat viel, viel länger zugewartet. Zum weichen Lockdown kam es bei einer Inzidenz von 356, zum harten bei 523 (!).
Genauso gut wie von einer Bestätigung des österreichischen Weges durch Deutschland könnte man also von einer Widerlegung sprechen; zumal Österreich nun bei einer Inzidenz von über 200 (!) zu einer Lockerung des harten Lockdowns geschritten ist.
Für Österreich ist das Leopoldina-Papier laut Sebastian Kurz hilfreich. Das ist zum einen ein Eingeständnis und lässt zum anderen neue Beschränkungen erwarten. Das Papier enthält nämlich Empfehlungen für Weihnachten und darüber hinaus:
- Im Vorfeld des Festes soll im Sinne rechtzeitiger Kontaktreduktionen die Schulpflicht aufgehoben werden (per 14. Dezember).
- Von 24. Dezember bis 10. Jänner sollen praktisch alle Läden geschlossen werden.
- Bürgerinnen und Bürger sind angehalten, ihre Kontakte über die Feiertage auf ganz wenige Mitmenschen zu beschränken.
- „Wer Menschen aus Risikogruppen — z. B. ältere Menschen — persönlich trifft, muss dabei äußerste Vorsicht walten lassen. Das bedeutet insbesondere, vorher 10 Tage lang in Quarantäne zu gehen und während des eigentlichen Treffens soweit möglich Abstand zu halten, Mund-Nasen-Schutz zu tragen und zu lüften.“ Und so weiter und so fort (den ganzen Text gibt es hier).
Die Leopoldina empfiehlt für die Zeit über die Weihnachtsferien hinaus Maßnahmen, wie sie in Österreich zuletzt vernachlässigt oder gar verludert worden sind. Beispiel eins: „Die Corona-Warn-App sollte in ihrer Funktionalität zum Beispiel durch die Ermöglichung freiwilliger Datenspenden der Nutzerinnen und Nutzer erweitert werden.“ Hierzulande ist die App nicht einmal mehr ein (wahrnehmbares) Thema. Beispiel zwei: Wie ursprünglich bei der Ampel vorgesehen, an der eigentlich nur noch Gesundheitsminsiter Rudolf Anschober (Grüne) festhält, soll ein „klares, mehrstufiges und bundesweit einheitliches System von Regeln (festgelegt werden), die ab einer bestimmten Anzahl von Fällen pro 100.000 Einwohner greifen. Dieser Katalog sollte verlässlich Maßnahmen vorsehen, die konsequent um- und mit Sanktionen durchgesetzt werden.“ Pikant: Einen solchen Katalog hat es in Österreich sogar schon gegeben; bis er von der Ampel-Website verschwunden ist.
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