ANALYSE. Für das Kopftuchverbot hat die Regierung ein starkes Argument. Umso mehr wäre sie auch in Bezug auf immer neue Missbrauchsfälle gefordert. Es ist ein Glaubwürdigkeitstest für Plakolm und Co.
Die Regierung war nicht so dumm, das Kopftuchtragen von Mädchen an Schulen mit dem Argument zu verbieten, dass es sich um ein religiöses, ja ein muslimisches Symbol handle und man ebensolche nicht sehen wolle. Abgesehen davon, dass das von Sozialdemokraten und Neos kaum mitgetragen worden wäre, wäre das Verbot unter diesen Umständen vom Verfassungsgerichtshof fix wieder aufgehoben worden; wie schon vor fünf Jahren.
Nein, sie geht formal mit einem ganz anderen Argument gegen das Kopftuch vor und hat das gleich im Titel des Gesetzes zum Ausdruck gebracht, das demnächst beschlossen werden soll: „Stärkung der Selbstbestimmung von unmündigen Mädchen an Schulen mittels Einführung eines Kopftuchverbots“. Und in den Erläuterungen heißt es, dass Kinder in ihrer Entwicklung zu schützen und zu stärken, ein zentrales Anliegen von ihr, also der Regierung, sei.
Das ist ein kluger Zug. Kinder sind jedoch aus vielen Gründen schutzbedürftig. Nicht nur, weil es Väter gibt, die sie in bestimmte Rollen zwängen und ihnen jede Entwicklung hin zu einem selbstbestimmten Leben verbauen. Sondern auch, weil es Männer gibt, die sie sexuell missbrauchen.
Seit Jahrzehnten werden zum Teil jahrzehntealte, aber auch jüngere Fälle bekannt. Erst aus der Kirche, derzeit aus dem SOS Kinderdorf. Da wie dort hat ein- und dieselbe Person jeweils eine unabhängige Untersuchungskommission geleitet; nämlich die steirische Ex-Landeshauptfrau Waltraud Klasnic. Trotzdem hat sich – jedenfalls in der SOS-Kinderdorf-Organisation – bis zuletzt ein System halten könnten, das „hier jahrzehntelang dazu geführt hat, dass über Missstände geschwiegen wird, dass hier vertuscht wird“, wie es die Geschäftsführerin der Organisation, Annemarie Schlack, jüngst in einem ZIB2-Interview zum Ausdruck gebracht hat.
Die Politik wirkt bei alledem überwiegend unbeteiligt: Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was schon alles passiert wäre, wenn sich derartige Fälle in einer muslimischen Vereinigung zugetragen hätten. Was dann zum Beispiel die Familien-, Jugend-, Integration- und Kultusministerin (Claudia Plakolm, ÖVP) schon alles in Bewegung gesetzt hätte.
Googelt man zum Thema Missbrauch und Politik, geht es eher um Asyl- oder Sozialmissbrauch. Weil es halt einschlägigen Erzählungen entspricht, mit denen sich Stimmung machen lässt. Gerade auch in Verbindung mit ihrem Ansatz beim Kopftuchverbot, Kinder zu schützen, wäre die Regierung, wäre unter anderem Plakolm, jedoch gefordert, sichtbare Zeichen zu setzen.
Nicht nur in Bezug auf Härte gegenüber Tätern und Leuten, die sich mitschuldig gemacht haben (sofern sie noch leben): Es geht etwa auch darum, Erwachsene und Institutionen im Umgang mit Kindern stärker in die Pflicht zu nehmen; Unmündige zu ermächtigen, über sich selbst zu bestimmen und Menschen, die von ihnen gesetzte Grenzen überschreiten, zurückzuweisen; Hürden zu beseitigen, die für sie bestehen, Missbrauch zu melden oder zur Anzeige zu bringen; dafür zu sorgen, das entsprechende Meldungen und Anzeigen verfolgt werden.