Impfpflicht wäre ehrlicher

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ANALYSE. Zögerliche Regierungspolitik macht sich und ganz Österreich wieder einmal mehr Probleme als nötig in dieser Pandemie.

Gesundheitsexperten meinen, zum Schlimmsten in einer Pandemie gehöre es, zu zögern. Die Regierung tut genau das: Seit Wochen steigen die Infektionszahlen und nimmt mit gewohnter Verzögerung auch die Belastung der Intensivmedizin wieder zu. Antwort von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP): Vergesst die Inzidenz! Das jedoch ist fahrlässig: In Verbindung mit anderen Daten ist sie ein Frühindikator, über den man sogar froh sein könnte. Und zwar in dem Sinne, als man ihn zur Vorbereitung auf mögliche Entwicklungen in den Spitälern heranziehen könnte. Zumal es noch immer so ist, dass es da einen gewissen Zusammenhang gibt.

Ein Problem ignorieren heißt jedoch nicht, dass es aus der Welt geschafft ist. Im Gegenteil, es wird letzten Endes nur noch größer. Umso verhängnisvoller ist, dass die Regierung nun – im Unterschied zur Ampelkommission, die diesbezüglich seit einem Jahr viel weiter ist – vorgibt, dass die Zahl der Intensivpatienten alleinentscheidend ist für neuerliche Beschränkungen: Das ist ungefähr so, als würde eine Feuerwehr erst dann ausrücken, wenn ein Haus in Vollbrand ist. Ja, nicht nur das: Maßnahmen sollen erst sieben Tage nach Überschreitung eines gewissen Wertes wirksam werden.

In den sieben Tagen bis zum 8. September ist die Zahl der Intensivpatienten in Österreich um ein Drittel auf 188 gestiegen. Hält dieser Trend an, sind nach sieben weiteren Tagen 250 Patienten erreicht – und zu einer Trendwende würde erst gut 14 Tage (bzw. zwei Wochen) nach Inkrafttreten wirkungsvoller (!) Maßnahmen kommen.

Insofern überrascht es nicht, dass das virologische Regierungsduo, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), von Chief Medical Officer Katharina Reich umgehend via Ö1-Moprgenjournal ausgerichtet bekommen, dass ihr Stufenplan vom vergangenen Mittwoch wohl nicht ausreichen könnte; dass sie in absehbarer Zeit „vielleicht“ nachlegen müssen.

Solcher Unzulänglichkeiten sind verhängnisvoll. In der Vergangenheit haben sie zu sehr vielen Todesfällen geführt. Diesmal überwiegt vorerst etwas ganz anderes: Im Kern geht es ausschließlich darum, dass sich möglichst viele Menschen impfen lassen. Eine Impfpflicht schließen Grüne und mehr noch Türkise aus. Sie tun es aus Rücksicht auf eine FPÖ-Klientel, die sie für Wahlerfolge brauchen, in der Impfkritiker und -gegner aber stark vertreten sind.

Mehr und mehr muss sich Sebastian Kurz jedoch die Frage stellen, ob diese Leute durch den bestehenden Kurs nicht erst recht angestachelt werden: Wenn es jetzt damit anfängt, dass Ungeimpfte im Handel eine FFP2-Maske tragen müssen (und es Geimpfte daher möglicherweise lieber nicht tun, um keine Missverständnisse auszulösen; Anm.), dann sorgt das für Proteste bei Impfgegnern und einer FPÖ, die das schäbig ausschlachtet, indem sie Methoden unterstellt, die in diktatorischen Regimen und durch Kennzeichnungsmerkmale auch in einer besonders dunkeln Vergangenheit gebräuchlich waren. Im besten Fall wird sich das bald wieder legen. Mit Sicherheit wird es aber dann wieder von vorne losgehen, wenn Ungeimpfte auch keine Nachtlokale mehr besuchen dürfen und in weiterer Folge irgendwann auch andere Verbote kommen – dann könnte sich eine wachsende Protestbewegung mit erheblichem Konfliktpotenzial etablieren, um es vorsichtig auszudrücken.

Alternative? Im Unterschied zur eidgenössischen Regierung hat die österreichische keine Strategiepläne für alle erdenklichen Entwicklungen vorgelegt, denen zu entnehmen ist, was im nächsten Winter ungefähr kommen könnte. Und im Unterschied zur französischen Staatsspitze hat sie sich nicht frühzeitig, zu Beginn der vierten Welle, für eine Impfpflicht für einzelne Gruppen ausgesprochen. Beides hätte der Pandemiebewältigung gedient. Unmut hätte es zwar ebenfalls gegeben, er hätte sich nach einiger Zeit aber wieder beruhigt.

So aber läuft es auf ein Schrecken ohne Ende für alle hinaus. Ungeimpfte werden fortlaufend mit weiteren und zunehmend unabsehbaren Beschränkungen belegt, die sie umstimmen, die genauso gut aber auch ihren Widerstand befeuern könnten – aus irgendeiner Überzeugung heraus, aus Trotz oder ganz einfach, weil sie mehr und mehr erst recht nicht tun, wozu sie eine Regierung bringen möchte, ohne es offen auszusprechen (in Wirklichkeit behauptet sie sogar, Ungeimpfte schützen zu müssen). Eine Impfpflicht wäre unter diesen Umständen ehrlicher; zumal es ohnehin darauf hinausläuft.

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