Erosion der Mitte

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ANALYSE. Warum die Teuerung den Niedergang traditioneller Volksparteien ebenso beschleunigt wie den Aufstieg von Rechtspopulisten wie Kickl.

„Die alte, staatstragende Mitte, deren zentrale Leitmotive ‚Stabilität‘ und ‚Normalität‘ waren, existiert in dieser Form nicht mehr. Abgelöst wird sie durch ein Nostalgisch-Bürgerliches Milieu, das die vermeintliche ‚Ordnung der Vergangenheit‘ wieder herstellen möchte und zum Sprachrohr des überforderten und unzufriedenen Teils unserer Gesellschaft wird. Es bildet sich Reaktanz gegen die Eliten heraus und zahlreiche Fakten werden angezweifelt. Weiters ist ein neues Milieu entstanden, das sich radikal für die nachhaltige Zukunft Österreichs einsetzt.“

Zu diesem Schluss kam Martin Mayr vom Meinungsforschungsinstitut „Integral“ im vergangenen Jahr im Rahmen der jüngsten „Sinus-Milieu-Studie“. Es handelt sich um einen Beitrag zu einer Diskussion, die geführt gehört. Zumal man, sofern man ihn teilt, davon ausgehen kann, dass sich die Erosion der gesellschaftlichen Mitte seither beschleunigt hat und dass das auch politische Verwerfungen erklärt. Damit gemeint ist die Krise traditioneller Volksparteien wie ÖVP und SPÖ einerseits und der Aufstieg der Hebert Kickl-FPÖ andererseits.

Mit der Teuerung geht Verhängnisvolles einher: Erstens, es wird zu sehr nur beschwichtigt. Motto: In vielen Ländern mag die Inflation niedriger sein, dort ist es aber auch die Kaufkraft. Und so weiter und so fort. Das Problem ist, dass sich gewohnte Standards verschlechtern. In Wien mögen die Mieten alles in allem wesentlich niedriger sein als in München. Wenn sie stark steigen, bedeutet das jedoch, dass viele Haushalte auf anderes, wie liebgewonnene Urlaubsreisen oder Restaurantbesuchte, verzichten müssen – und eine Verschlechterung wahrnehmen. Zweitens: Gut gemeinte, aber auch populistische Politik hat über die Jahre zur Erwartungshaltung beigetragen, dass es ihr gelingt, größere Unannehmlichkeiten fernzuhalten. Das wird jedoch zunehmend schwer bis unmöglich.

Drittens: Teile der bisherigen Mitte der Gesellschaft sind enttäuscht von dieser Politik. Sie sind mit einem Abstieg konfrontiert oder mit Ängsten davor. Viertens: Populisten wie Herbert Kickl fällt es leicht, darauf zu reagieren. Sie erzählen kurzerhand eine andere Geschichte. Beispiel: „Eliten lassen Euch hängen, ich werde sie daher in Eurem Sinne treten.“ Für SPÖ- und ÖVP-Vertreter, denen nicht alles egal ist, ist es ungleich herausfordernder damit umzugehen. Sie müssen oder müssten eine neue Politik entwerfen, der erwähnten Teilen der Gesellschaft Perspektiven schenkt. Sonst sind sie verloren.

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