Defekter Staat

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ANALYSE. Wie schon in der Coronakrise wird auch bei der Teuerung ein Zuständigkeits- und Maßnahmen-Dschungel zum Problem. Schlimmer: Niemand will’s ändern.

In dieser Hinsicht hat Österreich exakt keine Konsequenzen gezogen aus der Coronakrise: Es ist zu keiner Klärung der Zuständigkeitsverhältnisse zwischen Bund und Ländern gekommen. Der Rechnungshof hat dazu gerade einen sehr kritischen Bericht vorgelegt. Er wird nicht einmal ignoriert. Natürlich könnte man jetzt mit der Verfassung daherkommen und erklären, dass der Kanzler eine koordinierende und der Gesundheitsminister eine entscheidende Funktion habe, ja dass Landeshauptleute als Organe der mittelbaren Bundesverwaltung gerade in einer Pandemie eigentlich nur spuren müssten. Es spielt sich nicht. Unter anderem, weil der Kanzler (gegenwärtig Karl Nehammer) halt auch Obmann einer Partei (ÖVP) ist, in der Landeshauptleute (zurzeit vor allem Johanna Mikl-Leitner) das Sagen haben; und weil der Gesundheitsminister (aktuell der Grünen-Politiker Johannes Rauch) immer auch das Einvernehmen mit dem Koalitionspartner braucht, um über den Tag hinaus Politik machen zu können.

Also kommt nicht einmal mehr jemand auf die Idee, wie in den 2000er Jahren einen Konvent zu fordern, in dem über eine Verfassungsreform geredet wird. Obwohl es eben zig Anlässe dafür geben würde: Zu oft hieß es in der Pandemie, dass man nach der Pandemie „aufräumen“ müsse.

Es ist nicht geschehen und daher wird’s auch in der nächsten Krise schwierig: WIFO und IHS haben in einem Papier zu Teuerungsausgleichsmaßnahmen gewarnt, dass es mehr und mehr auch für die Mittelschicht eng werden könnte. Dass es aber an geeigneten Instrumentarien fehle, einzugreifen.

Dieses Problem ist so umfassend, dass man einen Schritt zurückgehen muss. Es geht hier um Sozialpolitik. Sie besteht jedoch aus unendlich vielen Instrumenten: Man kann Sozialversicherungsleistungen dazuzählen, die von selbstverwalteten Sozialversicherungsträgen ausbezahlt werden. Dazu gehört jedenfalls aber auch die Sozialhilfe (Mindestsicherung), die ihm Rahmen der Kompetenzaufteilung betreffend „Armenwesen“ (Verfassungsbegriff!) über die Länder abgewickelt wird. Oder die ganze Bandbreite der Familienleistungen, die von der Familienbeihilfe über das Schulbuch bis zum Familienbonus reichen. Das sind Bundesangelegenheiten, die ideologisch sehr unterschiedlich ausgerichtet sind: Bei der Familienbeihilfe ist jedes Kind gleich viel wert, beim Familienbonus, der die Steuerschuld reduziert, hängt der Wert des Kindes vom Einkommen der Eltern ab.

Zurück zum Teuerungsausgleich, der unter diesen Umständen zu einem dreifachen Problem wird: ein Zuständigkeits-, ein Leistungs- und ein Abwicklungsproblem. Wer lässt wen handeln? Man darf nicht naiv sein, hier geht es auch um Wählerstimmen. Beim Ausgleich für die hohen Energiepreise hat man das Leistungs- und das Abwicklungsproblem nicht lösen können und daher etwas ganz Neues erfunden: Alle Haushalte erhalten einen 150-Euro-Gutschein, einlösen dürfen ihn aber nur die, die – im Falle eines Einpersonenhaushaltes – nicht mehr als 55.000 Euro brutto im Jahr verdienen.

Das hat man auch gemacht, weil man gar nicht weiß, wer diesen Ausgleich wirklich brauchen könnte: Es von Daten der Finanz über Einkommensverhältnisse abhängig zu machen, würde zu kurz greifen; sie sind auf einzelne Personen beschränkt. Nötig wäre es, wie auch IHS und WIFO betonen, vielmehr, alle verfügbaren Daten von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen zusammenzuführen, um ein möglichst treffendes Bild davon zu bekommen, in welchem Haushalt es eng werden könnte. Abgesehen davon, dass auch das nur eine Annäherung wäre, weil über Vermögen amtlich so gut wie nichts bekannt ist, würde das aber wohl schon daran scheitern, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen unter Garantie nie alle Informationen füreinander freigeben würden. Sie müssten damit auch Macht abgeben – ihr wichtigstes Kapital.

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